Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
I.1.2<br />
Die postnazistische Kondition<br />
Der Begriff „Postnazismus“ arbeitet mit dem Präfix „post-“ in Anlehnung an Postkoloniale<br />
Theorien 61 und bezeichnet die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Kontinuitäten nach<br />
dem Bruch – <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Nazis und <strong>der</strong> Befreiung durch die Alliierten. Astrid<br />
Messerschmidt zufolge soll die Begrifflichkeit <strong>der</strong> postnationalsozialistischen Gesellschaft<br />
verdeutlichen, „dass etwas zwar vergangen und doch nicht vorüber ist.“ 62 Elke<br />
Rajal verwendet den Begriff des Postnazismus bzw. den <strong>der</strong> postnazistischen Gesellschaft,<br />
um zu betonen, „dass die österreichische Gesellschaft nach wie vor wesentlich<br />
von den bewussten wie unbewussten Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus<br />
geprägt ist“ und geht davon aus, dass dies „selbstverständlich auch Auswirkungen auf<br />
die schulische wie außerschulische Vermittlung des Nationalsozialismus und seiner<br />
Verfolgungs- und Vernichtungspolitik“ 63 hat. Insofern die NS-Nachfolgestaaten von<br />
einem diskursiven, juristischen, ökonomischen und personalen Weiterwirken des Nazismus<br />
geprägt sind, leben wir also in einer postnazistischen Gesellschaft. Der Politikwissenschafter<br />
Kien Ngi Ha spricht – allerdings im Zusammenhang mit dem Postkolonialismus<br />
– von einer Analysekategorie, die nicht auf etwas Zurückliegendes, Erledigtes,<br />
son<strong>der</strong>n auf etwas Unabgeschlossenes hinweist. 64 Diese Unabgeschlossenheit<br />
betonte bereits Theodor W. Adorno in seiner Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Frage nach<br />
einer Erziehung nach Auschwitz. Er sprach von einem Nachleben des Nazismus in<br />
<strong>der</strong> Demokratie: „Der Nationalsozialismus lebt nach, und bis heute wissen wir nicht,<br />
61<br />
62<br />
63<br />
64<br />
„Als ein theoretisches Konzept enthält <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Postkolonialität eine Doppelbedeutung, mit <strong>der</strong> zum<br />
Ausdruck kommen soll, welche Auswirkungen es hat, nach dem Ende des historischen Kolonialismus und mit<br />
den Nachwirkungen <strong>der</strong> kolonialen Erfahrung zu leben. Im Begriff <strong>der</strong> Postkolonialität kommt somit eine doppelte<br />
zeitgeschichtliche Kontextualisierung zum Ausdruck, die sich sowohl auf die Überwindung kolonialer<br />
Herrschaftszusammenhänge bezieht wie auch auf <strong>der</strong>en Weiterwirken.“ Messerschmidt, Weltbil<strong>der</strong> und Selbstbil<strong>der</strong>,<br />
S. 47. Und auf den Punkt gebracht: „Das Präfix ‚post’ in Postkolonialismus steht eben nicht für das<br />
Vergangene, son<strong>der</strong>n für die gegenwärtige Verbindung mit <strong>der</strong> Geschichte.“ Ebda., S. 143.<br />
Ebda., S. 144. Messerschmidt spricht sich allerdings gegen eine Verkürzung <strong>der</strong> Selbstbezeichnung „Nationalsozialismus“<br />
zu „Nazismus“ aus, da sie die nazistische Aufnahme des „Sozialismus“ nicht allzu einfach<br />
unterschlagen will. Ich wähle hier wie<strong>der</strong>um bewusst die Verkürzung, da ich es nicht für problematisch halte,<br />
mich <strong>der</strong> antifaschistischen Fremdbezeichnung „Nazi“ – die in allen an<strong>der</strong>en Sprachen als Deutsch gängig ist –<br />
anzuschließen. Um zahlreiche damit verbundene Problematiken wissend, suche ich nach einer Möglichkeit <strong>der</strong><br />
Aktualisierung einer parteiischen antifaschistischen Position, die allerdings auch selbstreflexiv um ihre Verstrickungen<br />
und Selbstimmunisierungen weiß und diesen entgegenarbeiten will.<br />
Rajal, Erziehung nach/über Auschwitz, S. 27. Sie definiert ihren kritischen Gebrauch des Begriffs „Postnazismus“<br />
folgen<strong>der</strong>maßen: „Das Faktum, dass es im Jahr 1945 keineswegs zu einem vollständigen Bruch kam<br />
und zudem viele Nazis in das politische System integriert wurden, hinterließ Spuren, die weit über die unmittelbaren<br />
Nachkriegsjahre hinaus in <strong>der</strong> Gesellschaft wirksam sind. Dieses durch den Nationalsozialismus und sein<br />
Fortwirken geschaffene gesellschaftliche Verhältnis soll mit dem Begriff Postnazismus gefasst werden.“ Ebda.,<br />
S. 26.<br />
Vgl. Kien Ngi Ha, Ethnizität und Migration reloaded. Kulturelle Identität, Differenz und Hybridität im postkolonialen<br />
Diskurs, Berlin 2004, S. 95.<br />
25