Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen
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Besitz, son<strong>der</strong>n ein lebenslanger Prozess mit offenem Ausgang“ 139 , schreibt Bodo von<br />
Borries. Der Begriff des Geschichtsbewusstseins beschreibt also zugleich identitäre,<br />
transformative und normative Elemente: Er widmet sich dem, was ist, was werden<br />
kann und was werden soll. Die Geschichtsbewusstseinsforschung bewegte sich daher<br />
von Anfang an in einem interdisziplinären Bereich zwischen Geschichtswissenschaft,<br />
Pädagogik, Psychologie und empirischer Sozialwissenschaft. Sie hat insofern eine<br />
stark empirische Dimension. 140 Der Begriff des Geschichtsbewusstseins ist aber<br />
darüber hinaus auch für die theoretische Auseinan<strong>der</strong>setzung relevant – wenn er<br />
reflexiv im Hinblick auf eine kritische Beschäftigung mit gesellschaftlichen Identitäten,<br />
Transformationen und Normen verstanden wird. Denn „einerseits gilt es, die<br />
elementare identitätsstiftende Funktion von Vergangenheitsbezügen zur Kenntnis zu<br />
nehmen, an<strong>der</strong>erseits die Tatsache <strong>der</strong> Konstruiertheit dieser Bezugssysteme.“ 141<br />
Mit dem Geschichtsbewusstsein werden also Identität und Kompetenz zu<br />
wesentlichen Kategorien <strong>der</strong> Geschichtsdidaktik – und das macht das Konzept (das<br />
seit den 1980er Jahren stark im Einsatz ist 142 ) für das Thema dieser Arbeit relevant.<br />
Bodo von Borries arbeitet drei Dimensionen des vielschichtigen Begriffs heraus:<br />
„Geschichtskultur“, „historische Identität“ und „Geschichtskompetenz“. 143 Alle drei<br />
stehen durchaus in Verbindung mit einer spezifischen Beschäftigung <strong>der</strong> Geschichtsdidaktik<br />
mit dem Holocaust: Musste doch vor dem Hintergrund des<br />
„Zivilisationsbruchs Auschwitz“ 144 mit einem wesentlichen Einschnitt in die<br />
Möglichkeit einer ungebrochenen deutschen Identität umgegangen werden. 145 Darüber<br />
hinaus spiegeln alle drei die Tendenzen des cultural turn <strong>der</strong> 1980er und 1990er Jahre<br />
139<br />
Vgl. von Borries, Historisch Denken <strong>Lernen</strong>, S. 7.<br />
140<br />
Für unser Projekt ist in diesem Zusammenhang vor allem die Studie von Viola B. Georgi relevant, <strong>der</strong>en<br />
wesentliche Ergebnisse im Weiteren noch beschrieben werden. Vgl. Georgi, Entliehene Erinnerung.<br />
141<br />
Claudia Lenz, Jens Schmidt, Oliver von Wrochem, Einleitung, in: dies. (Hg.), Erinnerungskulturen im Dialog,<br />
S. 9–18, hier S. 9.<br />
142 So schreibt Karl-Ernst Jeismann 1988: „Während die Vertreter <strong>der</strong> Geschichtsdidaktik im internationalen<br />
Zusammenhang sich bemühen, ihre sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon, was ‚Geschichtsbewusstsein’<br />
sei, diskursiv zu klären, ist es längst zum Inventar kulturpolitischer Rhetorik geworden. Hier wird das fehlende<br />
Geschichtsbewusstsein beklagt und sein Mangel einer verfehlten Bildungspolitik angelastet, es wird um das<br />
angemessene o<strong>der</strong> ‚richtige’ Geschichtsbewusstsein mit Eifer und Polemik gestritten, wie <strong>der</strong> jüngste<br />
Historikerstreit gezeigt hat. Aber auch auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des Diskussionsspektrums, in <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft<br />
selbst, gewinnt die Frage nach dem geschichtlichen Selbstverständnis vergangener Epochen, sei es im<br />
Zuge <strong>der</strong> Mentalitätsforschung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Geistes- und ‚Ideologiegeschichte’, neues Interesse.“ Karl-Ernst<br />
Jeismann, Geschichtsbewusstsein als zentrale Kategorie <strong>der</strong> Geschichtsdidaktik, in: Gerhard Schnei<strong>der</strong> (Hg.),<br />
Geschichtsbewusstsein und historisch-politisches <strong>Lernen</strong>. Jahrbuch für Geschichtsdidaktik 1988, Pfaffenweiler<br />
1988, S. 1.<br />
143<br />
Vgl. von Borries, Historisch Denken <strong>Lernen</strong>, S.7.<br />
144 Vgl. Dan Diner, Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt am Main 1996.<br />
145 Vgl. Jörn Rüsen, Schritte ins Niemandsland, in: <strong>der</strong>s., Zerbrechende Zeit. Über den Sinn <strong>der</strong> Geschichte, Köln –<br />
Weimar – Wien 2001, S. 145–324.<br />
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