30.10.2013 Aufrufe

Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen

Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen

Kontaktzonen der Geschichtsvermittlung Transnationales Lernen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

so wird dabei die Realität <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft allerdings dennoch nur selten<br />

behandelt. 152 Doch vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft gilt es, die Frage<br />

nach <strong>der</strong> historischen Identität weiter gehend zu stellen: Wie werden Konstruktionen<br />

und Kollektive <strong>der</strong> Erinnerung in <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft herausgefor<strong>der</strong>t? Wie<br />

müsste vor diesem Hintergrund Geschichtsbewusstsein reformuliert werden? Und mit<br />

welchen Zielen kann überhaupt von historischer Identität gesprochen werden?<br />

Der Identitätsbegriff hat in den letzten zwanzig Jahren in den Sozialwissenschaften<br />

einen grundlegenden Wandel erfahren – Stuart Hall spricht von einer „Krise<br />

<strong>der</strong> Identität“ und einer „Identität im Zweifel“. 153 Daher wird heute, wenn von Identitätsbildung<br />

die Rede ist, längst keine statische, „verwurzelte“, essentialistische Position<br />

mehr angesprochen, son<strong>der</strong>n ein dynamischer Prozess: 154 eine jeweilige stets<br />

vorläufige und erweiterbare Zusammensetzung aus unterschiedlichen, meist disparaten<br />

Einzelteilen, aus denen Leute „sich als individuelle Leistung eine Patchwork-<br />

Identität ‚zusammenschustern’“. 155 Diese Öffnung von Identität auf pluralistische,<br />

vielfältige und wi<strong>der</strong>sprüchliche Identitäten könnte zunächst als Errungenschaft<br />

erscheinen, an <strong>der</strong> sich eine <strong>Geschichtsvermittlung</strong> in <strong>der</strong> Migrationsgesellschaft<br />

orientieren könnte, um einen immer noch gängigen Bezug auf monoperspektivische<br />

und homogene Nationalgeschichte in Frage zu stellen. Doch auch die Vorstellung von<br />

Identität als Transformation bleibt keineswegs frei von Kritik: Paul Mecheril hat in<br />

seinen Ansätzen zur Migrationspädagogik, wie oben beschrieben, gezeigt, dass<br />

„Identitäten“ – so wandelbar sie auch sein mögen – sich nicht völlig von Zuschreibungen<br />

und zugewiesenen sozialen Positionen trennen lassen. Sie sind daher nicht frei<br />

wähl- o<strong>der</strong> zusammenstellbar und finden vielmehr innerhalb von gesellschaftlichen<br />

Machtverhältnissen statt. Stuart Hall spricht davon, dass Identität „Politik, den<br />

152 Erst in den 1990er Jahren taucht die Thematik vereinzelt auf. Wie etwa bei Bettina Alavi, Geschichtsunterricht<br />

in <strong>der</strong> multiethnischen Gesellschaft – eine neuere geschichtsdidaktische Position, in: Marko Demantowsky,<br />

Bernd Schönemann (Hg.), Neue geschichtsdidaktische Positionen, 2. Auflage, Freiburg 2006, S. 13–26.<br />

153 Hall, Die Frage <strong>der</strong> kulturellen Identität, S. 180 f.<br />

154 Jörn Rüsen schreibt etwa: „Wenn man sich die Komplexität vor Augen hält, scheint die Frage unvermeidlich zu<br />

sein, ob es überhaupt noch Sinn macht, nur von einer Identität einer Person o<strong>der</strong> einer Gruppe zu sprechen.<br />

Natürlich kann soziale Identität durch Klasse, Religion, Geschlecht und eine ganze Reihe an<strong>der</strong>er Faktoren<br />

definiert werden, und in jedem Falle handelt es sich um etwas Verschiedenes mit verschiedener Bedeutung und<br />

Wirkungskraft. Aber nichtsdestoweniger wäre es mißverständlich, wenn man den Begriff „Identität“ durch<br />

einen an<strong>der</strong>en ersetzen würde, <strong>der</strong> Vielfalt und Unterschiedlichkeit anstelle von Einheit ausdrückt. Identität ist<br />

eine Beziehung zwischen diesen verschiedenen ‚Identitäten’, die durch ein bestimmtes Minimum an Kohärenz<br />

definiert ist (als Modus <strong>der</strong> Selbstbezüglichkeit). Diese Kohärenz brauchen Individuen o<strong>der</strong> Gruppen, um ihr<br />

Leben führen zu können.“ Jörn Rüsen, Zerbrechende Zeit. Über den Sinn <strong>der</strong> Geschichte, Köln – Weimar –<br />

Wien 2001, S. 158. Hier wird <strong>der</strong> Wunsch deutlich, Identität auch angesichts identitärer Brüche wie<strong>der</strong> herzustellen.<br />

155 Alavi, Geschichtsunterricht in <strong>der</strong> multiethnischen Gesellschaft, S. 14.<br />

55

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!