2004. évi 2. szám - Jura - Pécsi Tudományegyetem
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die Notwendigkeit der Einräumung des Prozesskostenhilferechtes.<br />
Dem letzteren Begriff ist sehr früh<br />
im deutschen Recht Rechnung getragen worden,<br />
wenn auch dieses Institut unter dem Namen „Armenrecht”<br />
2 lief. Heute ist dieses Prozesskostenhilferecht<br />
in der ZPO § 114 ff reformiert worden und den<br />
modernen sozialstaatlichen Ansprüchen angepasst.<br />
Es bildet ein wichtiges Element der Chancen- und<br />
Waffengleichheit. Im deutschen Recht hat sich aber<br />
auch noch der Gedanke der kostenfreien Klage und<br />
der Popularklage erhalten, zwei Gedanken die den<br />
Zugang zu den Gerichten wesentlich erleichtern.<br />
Die aus dem römischen Recht stammende Popularklage<br />
– jeder Bürger (quivis ex populo) kann klagen<br />
ohne verletzt sein zu müssen – besteht heute noch<br />
im bayerischen. Verfassungsrecht als Popularklage<br />
gegen Landesgesetze (Art. 98 S. 4 BV) fort.<br />
Ähnlich wie die Popularklage nach dem bayerischen<br />
Recht – sie besteht auch im ungarischen Verfassungsrecht<br />
– ist auch die Verfassungsbeschwerde<br />
nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a und b kostenfrei. Die<br />
europäische Grundrechtecharta hat allerdings die<br />
Verbandsklage, die mit der Popularklage vergleichbar<br />
erscheint, nicht übernommen. Im Sinne der Waffen-<br />
und Chancengleichheit sind somit kostenfreie<br />
Verfassungsbeschwerde, Popularklage oder Verbands<br />
klage wichtige Instrumente geworden. Wenn<br />
auch die Grundrechtecharta keine Verbandsklage<br />
kennt, so ist doch Art. 47 der Charta ein wesentlicher<br />
Fortschritt gegenüber der Regelung des Art. 6<br />
EMRK. Der Grundrechtsschutz, der sowohl von Art.<br />
6 EMRK als auch von Art. 47 der Charta angesprochen<br />
wird, gehört zu den wichtigsten freiheitlichen<br />
Bereichen, die von den Urkunden geschützt werden.<br />
Eine deutsche Kommentierung umfasst 160 Seiten<br />
in Bezug auf Art. 6 EMRK 3 . Zum entsprechenden<br />
Art. 47 der Charta liegen noch keine ausführlichen<br />
Kommentierungen vor, doch ist zu erwarten, dass<br />
auch hier die Kommentierung einen großen Umfang<br />
einnehmen wird. Die Erweiterung der Regelungssachverhalte,<br />
die in Art. 47 gegenüber Art. 6 EMRK<br />
aufgenommen wurden, ist beachtlich. Wie aktuell<br />
eine solche Erweiterung ist zeigt sich am Merkmal<br />
der Gesetzmäßigkeit der Einrichtung unabhängiger<br />
und neutraler Gerichte. Selbst hier ist die Charta noch<br />
nicht eindeutig genug, denn sie sagt nicht, dass die<br />
Gerichte bereits vor der Begehung der Handlung errichtet<br />
sein müssen, welche sie aburteilen sollen. Dies<br />
würde genau dem Grundsatz entsprechen, den der<br />
deutsche Jurist Feuerbach mit dem Satz nulla poena<br />
sine lege 4 ausgedrückt hat und der nunmehr in Art.<br />
49 seine Verankerung gefunden hat. Dieser Grundsatz<br />
gilt nicht im Common Law, worauf bereits die<br />
Nürnberger Prozesse deutlich hingewiesen haben.<br />
Es ist evident, dass hier ein großer Unterschied<br />
zwischen der angelsächsischen und der kontinentaleuropäischen<br />
Rechtsauffassung klafft. Um ad hoc-<br />
Prozesse politischer Art zu vermeiden, muss größter<br />
Wert darauf gelegt werden, dass die Bestimmung des<br />
Art. 47 der Charta so ausgelegt wird, dass Verhandlungen,<br />
die vor der Errichtung der entsprechenden<br />
Gerichtsbarkeit vorgenommen wurden, nicht unter<br />
die Kompetenz des Gerichtes fallen können. Hier<br />
zeigt sich, dass der so positiv aufgenommene Begriff<br />
des „fair trial„ durchaus zu Problemen führen<br />
kann, weil er in Kontinentaleuropa in dieser weiten<br />
Bedeutung auf größte Bedenken stößt, da hier das<br />
Gesetz und nicht der Richterspruch ausschlaggebend<br />
ist für das Prozedere. Man darf hier auch nicht mit<br />
dem Begriff der „Natur der Sache„ argumentieren<br />
und behaupten, dass im Sachverhalt selbst gleichsam<br />
naturrechtlich auch die Strafgerechtigkeit und die<br />
Strafbarkeit einer Handlung als „Rule of the Case„<br />
beschlossen liegt. Die Idee der Waffen- und Chancengleichheit<br />
wäre damit auch aufgegeben, weil<br />
immer nur die eine Seite, die siegreiche, in der Lage<br />
wäre ein Gericht zur Aburteilung des unterlegenen<br />
Teiles durch ein eigenes aufgezwungenes Gesetz<br />
zu errichten. Allerdings bringt Art. 49 Abs. 2 einen<br />
Gedanken ein, der vom Common Law angeregt den<br />
Grundsatz nulla poena relativieren könnte. Denn<br />
nach dieser Bestimmung soll eine Strafbarkeit auch<br />
dann ohne das Vorliegen einer lex möglich sein,<br />
wenn die Handlung oder Unterlassung zur Zeit ihrer<br />
Begehung nach den allgemeinen, von der Gesamtheit<br />
der Nationen anerkannten Grundsätzen strafbar war.<br />
Dabei bleibt nämlich offen, welche Rechtsnatur diese<br />
allgemeinen Grundsätze haben sollen.<br />
Abschließend soll bemerkt werden, dass die Regelung<br />
des Art 47 der europäischen Grundrechtecharta<br />
auch heute schon von rechtlicher Relevanz ist, auch<br />
wenn die Charta selbst noch nicht als bindendes<br />
europäisches Verfassungsgesetz angesehen werden<br />
kann. Denn einmal stellt sich diese Regelung wie die<br />
ganze Charta als Selbstbindung der europäischen<br />
Organe dar und bewirkt die sog. Beweisumkehr<br />
in jedem Prozess, in dem sich der Kläger auf die<br />
Grundrechte der Charta berufen kann. Sieht man<br />
aber im Art. 47 schon heute den Ausdruck eines<br />
gemeinschaftlich-europäischen Verfassungsrechtes,<br />
dann ist er jetzt schon als verbindliches europäisches<br />
Recht anzusehen.<br />
Literatur<br />
Heinrich Scholler: Der gleiche Zugang zu den Gerichten<br />
Alber, Siegbert – Widmaier, Ulrich: Die EU-Charta der<br />
Grundrechte und ihre Auswirkungen auf die Rechtsprechung,<br />
EuGRZ 2000. S. 497. ff.<br />
Dröge, Cordula – Marauhn, Thilo: Soziale Grundrechte in<br />
der Europäischen Grundrechtscharta – aus der Perspektive der<br />
EMRK, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozial ordnung,<br />
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales<br />
Sozialrecht, Akademie der Diözese Rottenburg Stuttgart<br />
JURA 2004/<strong>2.</strong>