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Die Novemberrevolution 1918/1919 in Deutschland

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strahlte der Gedanke der direkt-demokratischen Willensbildung <strong>in</strong>sofern aus, als<br />

es im Frühjahr <strong>1919</strong> auf zahlreichen Zechen zur Etablierung e<strong>in</strong>er von der Ortskameradschaft<br />

über das Steigerrevier und den Zechenrat reichenden „Basisdemokratie“<br />

kam, die vielfach die Keimformen für überregionale Räteorganisationen<br />

bildeten. <strong>Die</strong> Bergleute setzten <strong>in</strong> besonderem Maße auf Bewegung und spontane<br />

Aktion. 29 Zum anderen konnte sich das revolutionäre Protestpotenzial aufgrund<br />

spezifischer demographischer Faktoren des Ruhrgebiets erfolgreich entfalten.<br />

Denn die im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung explosiv gewachsene<br />

Bevölkerung an der Ruhr zeichnete sich gegenüber dem übrigen Deutschen Reich<br />

bis <strong>in</strong>s frühe 20. Jahrhundert h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht nur durch e<strong>in</strong>e starke Zuwanderung aus,<br />

sondern auch durch e<strong>in</strong>e damit verbundene, weil importierte, höhere Geburtenrate<br />

und e<strong>in</strong>en entsprechend hohen Anteil Jugendlicher und junger Erwachsener. Zuwanderer<br />

und junge Arbeiter bildeten wirkungsmächtige Trägergruppen der Proteste<br />

zwischen <strong>1918</strong> und 1920: Beide waren nur <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gem Maße politisch sozialisiert<br />

worden und suchten weniger den Anschluss an etablierte Politikformen<br />

und Verbändedemokratie, wie sie die etablierten Arbeiterorganisationen repräsentierten,<br />

sondern orientierten sich vielmehr an antibürokratischen und spontanen<br />

Aktionsformen. 30 <strong>Die</strong> revolutionären Protestbewegungen fanden mith<strong>in</strong> <strong>in</strong> besonderen<br />

regionalen, sozialgeschichtlichen Faktoren „Anknüpfungspunkte“. <strong>Die</strong>se<br />

alle<strong>in</strong> erklären aber noch nicht h<strong>in</strong>reichend die Intensität der <strong>1918</strong>/19 ausbrechenden<br />

Radikalisierungsschübe, die des revolutionären Impulses bedurften.<br />

Dabei speiste sich der Protest aus e<strong>in</strong>er vielschichtigen und diffusen Gemengelage<br />

politischer, wirtschaftlicher und sozialer Motive: Erstens aus der grassierenden<br />

Enttäuschung über den bisherigen Verlauf der Revolution „<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>“, vor allem<br />

über die schwerwiegenden Kompromisse des Rates der Volksbeauftragten mit<br />

den traditionellen Gewalten <strong>in</strong> Bürokratie, Unternehmerschaft und Militär, die mit<br />

den im Krieg aufgebauten Erwartungshaltungen an e<strong>in</strong>en politischen und sozialen<br />

Umbau der bestehenden Ordnung kollidierten. 31 <strong>Die</strong> Mehrheitssozialdemokratie<br />

schien sich von grundlegenden programmatischen Zielsetzungen der Arbeiterbewegung<br />

zu entfernen. <strong>Die</strong> revolutionäre Wut und Verbitterung traf daher <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie die etablierten Arbeiterorganisationen vor Ort und führte im sozialdemokratisch<br />

geprägten Alten Verband zu heftigen <strong>in</strong>nerorganisatorischen Konflikten und<br />

massenhaften Austritten jüngerer Bergarbeiter. 32<br />

E<strong>in</strong>e zweite Triebfeder waren grundlegende materielle Problemlagen, die an die<br />

<strong>in</strong>dustrielle Lebens- und Existenzweise der großen Mehrheit der Ruhrgebietsbevölkerung<br />

gekoppelt waren und von der kriegs- und nachkriegsbed<strong>in</strong>gten Nahrungsmittelknappheit<br />

wie auch der Inflation und der Demobilmachung noch ver-<br />

29 Siehe Lucas, Ursachen; Tenfelde, Schichtung, S. 210-212; Tenfelde, Arbeiterbewegung, S. 338f.<br />

30 Siehe Tenfelde, Arbeiterbewegung, S. 335-338.<br />

31 Siehe Mart<strong>in</strong>y, Arbeiterbewegung, S. 242f.; Tenfelde, Arbeiterbewegung, S. 338; Rürup, E<strong>in</strong>leitung, S. 9-11;<br />

Tampke, The Ruhr and Revolution; Wirsch<strong>in</strong>g, Revolution, S. 8.<br />

32 Siehe Tenfelde, Schichtung, S. 211f.<br />

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