Die Novemberrevolution 1918/1919 in Deutschland
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der kapitalistischen Lohnarbeit bed<strong>in</strong>gt (sie ist entwürdigend-abhängig – und bedürfnisbefriedigend)<br />
– nicht nur die ständige Rebellion gegen politische und<br />
ökonomische Abhängigkeiten hervor, sondern auch die Anpassung an diese. 4 <strong>Die</strong><br />
Entwicklung der materiellen Produktivkräfte, die zyklische Bewegung der kapitalistischen<br />
Produktion mit ihren wirtschaftlichen Aufschwüngen boten dem Kapital<br />
periodisch und immer wieder auf höherer Stufe die Möglichkeit, die Bedürfnisse<br />
der materiellen, später zunehmend auch der geistigen Existenz der Lohnarbeitenden<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten Maße zu befriedigen und damit Teile der Lohnarbeiterschaft<br />
an das System zu b<strong>in</strong>den, was sich z. T. <strong>in</strong> der Beschränkung der<br />
Rebellion auf Reformen <strong>in</strong>nerhalb des Kapitalismus niederschlägt. In dieser Richtung<br />
wirkt auch der Doppelcharakter der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie:<br />
Sie eröffnet der Lohnarbeiterschaft und anderen demokratischen Kräften<br />
Möglichkeiten für ihren politischen und sozialen Emanzipationskampf; und sie ist<br />
zugleich e<strong>in</strong>e Form der bourgeoisen Herrschaft, deren politische E<strong>in</strong>richtungen<br />
(allgeme<strong>in</strong>es Wahlrecht, Parlamente, Versammlungs- und Pressefreiheit u.a.m)<br />
auch größeren Teilen der Arbeiterschaft zugute kommen und sie so an die bürgerliche<br />
Demokratie b<strong>in</strong>den. 5 Und das umso nachhaltiger, je länger diese Verhältnisse<br />
wirken, je verzweigter dieses politische System, je umfangreicher und organisierter<br />
die Lohnarbeiterschaft ist – e<strong>in</strong> (der) Grund, warum es <strong>in</strong> Russland 1917 leichter<br />
war als <strong>in</strong> Westeuropa, die Revolution zu beg<strong>in</strong>nen, aber – so Len<strong>in</strong> – schwerer<br />
se<strong>in</strong> würde, sie dort fortzusetzen. 6<br />
<strong>Die</strong>se drei Faktoren – das urwüchsige Demokratiestreben <strong>in</strong> der Lohnarbeiterschaft,<br />
se<strong>in</strong>e Spontaneität und die gegen ihn wirkenden Hemmnisse – bestimmten<br />
den Ablauf der Revolution von <strong>1918</strong>/<strong>1919</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>.<br />
Nicht zuletzt schlug sich während der Revolution konkret nieder, was Oskar Negt<br />
generalisierend zum Zusammenhang von „Arbeit und menschliche Würde“ feststellt:<br />
Es g<strong>in</strong>g – und geht auch heute – um „reichhaltigere Formen der Arbeit“, „<strong>in</strong><br />
denen die Menschen sich <strong>in</strong> ihren Ansprüchen an Selbstverwirklichung wiedererkennen,<br />
weil sich ihre <strong>in</strong>dividuelle Tätigkeit gleichzeitig als verantwortungsbewusste<br />
Arbeit für das Geme<strong>in</strong>wesen erweist. <strong>Die</strong> <strong>in</strong> der lebendigen Arbeit steckenden<br />
Potentiale schöpferischer Phantasie und Gestaltungsmacht lassen sich <strong>in</strong>nerhalb der<br />
von Kapital und Markt def<strong>in</strong>ierten Grenzen kaum s<strong>in</strong>nvoll und ausreichend entfalten.<br />
So wandern sie aus, verlassen das offizielle System, verpuppen sich gleichsam,<br />
<strong>in</strong>dem sie sich <strong>in</strong> vielfältig verkleidete Arbeitsutopien flüchten. Aber diese Arbeitsutopien<br />
verschw<strong>in</strong>den nicht e<strong>in</strong>fach, sondern bilden riesige Vorratslager, die von<br />
Zeit zu Zeit auf Verwirklichung drängen und weit Entferntes manchmal ganz <strong>in</strong> die<br />
Nähe rücken.“ 7 <strong>Die</strong> Revolution <strong>1918</strong>/<strong>1919</strong> war so e<strong>in</strong> Zeitpunkt.<br />
4 Siehe Engels <strong>in</strong> MEW, Bd. 2, S. 344/345; Marx <strong>in</strong> ebenda, Bd. 23, S. 765; Len<strong>in</strong>, Werke, Bd. 27, S. 206.<br />
5 Siehe dazu Ulla Plener: Arbeiterbewegung - demokratische Hauptkraft im Kapitalismus, Berl<strong>in</strong> 1988, S. 182-<br />
183, 187 (mit Verweisen auf entsprechende Aussagen von Marx, Engels, Rosa Luxemburg, Len<strong>in</strong>).<br />
6 Siehe Len<strong>in</strong>, Werke, Bd. 27, S. 85; Bd. 31, S. 104; Bd. 32, S. 498/499.<br />
7 Oskar Negt: Kle<strong>in</strong>er Epilog zu: Arbeit und menschliche Würde, Gött<strong>in</strong>gen 2001, S. 714.<br />
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