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Die Novemberrevolution 1918/1919 in Deutschland

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zusehen. <strong>Die</strong>se Ziele hätten <strong>in</strong> der Herbeiführung des Friedens und <strong>in</strong> der Errichtung<br />

der Demokratie, und zwar der repräsentativen parlamentarischen Demokratie,<br />

bestanden. Es werden <strong>in</strong> dieser Sicht, die e<strong>in</strong>e Rätedemokratie als illusionär<br />

verwirft, durchaus Fehler der MSPD e<strong>in</strong>geräumt; auch solche mit erheblichen Folgen<br />

wie die unterlassene Sozialisierung <strong>in</strong> der Schwer<strong>in</strong>dustrie und <strong>in</strong> anderen Bereichen<br />

der Industrie sowie im F<strong>in</strong>anzwesen und die Kooperation mit der militärischen<br />

Führung. Doch beide Faktoren werden zu ger<strong>in</strong>g gewichtet, was dem<br />

Besonderen dieser Revolution nicht gerecht wird, nämlich ihrer antimilitaristischen<br />

Stoßrichtung und der Trägerschaft durch die Arbeiterbewegung. Vor allem<br />

Letzteres gab dieser Revolution e<strong>in</strong>e starke soziale Komponente. Beide Unterlassungen<br />

ermöglichten die schrittweise Aushöhlung des Sozialstaates und den E<strong>in</strong>fluss<br />

der militärischen Führung, ja überhaupt der militaristischen Kreise auf die<br />

Politik, wodurch der NS-Herrschaft der Boden bereitet wurde.<br />

Was die „friedliche Revolution“ von 1989 betrifft, so sche<strong>in</strong>t das eben Erörterte<br />

mit deren Verlauf und Ausgang wenig und <strong>in</strong> dem Wenigen nur <strong>in</strong> sehr allgeme<strong>in</strong>er<br />

Weise <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu br<strong>in</strong>gen se<strong>in</strong>. Zwar wurde auch die Erhebung im<br />

Herbst 1989 vom Ruf nach Demokratie und Freiheit, vor allem mehr <strong>in</strong>dividueller<br />

Freiheit, getragen. Aber die Träger dieser Rebellion waren nicht die Angehörigen<br />

e<strong>in</strong>er Klasse, sondern aufbegehrende Staatsbürger aller Schichten, wobei die<br />

Arbeiter unterrepräsentiert blieben. Das Problem Militär/Militarismus spielte nur<br />

<strong>in</strong> den ersten Tagen und auch da nur e<strong>in</strong>e untergeordnete Rolle. <strong>Die</strong> Gegner der<br />

Erhebung waren andere als die von <strong>1918</strong>/19 und verschwanden bald <strong>in</strong> der Versenkung,<br />

auch dies ganz anders als 70 Jahre zuvor. Was aber bei den bisherigen<br />

Deutungen des Umsturzes fast ganz außerhalb der Betrachtungen liegt, ist die Tatsache,<br />

dass all die Unzufriedenen mit dem politischen System sich bewusst waren,<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ausgebauten Sozialstaat gelebt zu haben, der ihnen annähernd gleiche<br />

Chancen des Aufstiegs <strong>in</strong> der Gesellschaft ermöglichte und selbst e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Partizipation im politischen Bereich e<strong>in</strong>räumte. <strong>Die</strong> Empörer, also die<br />

Bürgerbewegung und die sie unterstützenden Massen, wollten diese soziale Wirklichkeit<br />

mit wirklicher politischer Freiheit verb<strong>in</strong>den und hatten nicht daran gedacht,<br />

dass sie bald <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Entgegensetzung von Gleichheit und Freiheit und damit<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e m<strong>in</strong>dere Freiheit geraten könnten.<br />

So wurden die Aktionen <strong>in</strong> beiden Erhebungen von politischen und sozialen<br />

Zielen bestimmt, was Anlass se<strong>in</strong> muss, die Vernachlässigung der sozialen Frage<br />

nach dem politischen Umbruch mit ihren Folgeersche<strong>in</strong>ungen auf mittlere und<br />

längere Perspektiven abzuschätzen. <strong>Die</strong> Erschütterung des ersten deutschen Sozialstaates<br />

entfremdete e<strong>in</strong>en großen Teil der Bürger der Weimarer Demokratie. Gewiss,<br />

die Berl<strong>in</strong>er Republik ist nicht die von Weimar. Aber das Fortschreiten der<br />

Erosion des Sozialstaates Bundesrepublik hat dieser Demokratie bereits großen<br />

Schaden zugefügt. Kapitalismus und Demokratie s<strong>in</strong>d eben ke<strong>in</strong>e Geschwister<br />

und können nur mühsam <strong>in</strong> der Balance gehalten werden. Das ist am Ende der<br />

„friedlichen Revolution“ vergessen gemacht worden.<br />

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