Die Novemberrevolution 1918/1919 in Deutschland
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<strong>Die</strong> Krise der Revolution führte im Dezember <strong>1918</strong> zur Krise zwischen Obleuten<br />
und USPD-Vorstand. E<strong>in</strong>e Presseerklärung der Obleute verlangte den sofortigen<br />
Rücktritt der USPD-Volksbeauftragten, e<strong>in</strong>e Distanzierung der Partei von der<br />
SPD und die Führung des Wahlkampfes zur Nationalversammlung klar gegen die<br />
Mehrheitssozialisten. Müller und Däumig weigerten sich zudem, mit dem USPD-<br />
Vorsitzenden Hugo Haase auf e<strong>in</strong>e Kandidatenliste für die Wahl gesetzt zu werden.<br />
Sie stellten e<strong>in</strong>e eigene l<strong>in</strong>ke Liste unter Beteiligung Karl Liebknechts auf,<br />
was jedoch von der überrumpelten Parteibasis abgelehnt wurde. <strong>Die</strong> Obleute waren<br />
nun <strong>in</strong>nerhalb der USPD isoliert. 22 Dennoch schlossen sie sich zunächst nicht<br />
der vom Spartakusbund am 1.1.<strong>1919</strong> neu gegründeten KPD an. Wegen ihres Antiparlamentarismus<br />
und des Vorherrschens der Syndikalisten und Ultral<strong>in</strong>ken war<br />
die junge Partei den Obleuten suspekt. 23<br />
<strong>Die</strong> Obleute blieben <strong>in</strong> der USPD, führten ihre Politik allerd<strong>in</strong>gs weiterh<strong>in</strong> unabhängig<br />
vom Parteivorstand fort. Ihr Aktionsfeld war die Arbeiterrätebewegung,<br />
die sich seit Anfang <strong>1919</strong> aus den zunächst sehr heterogenen und ohne Programm<br />
agierenden Rätestrukturen entwickelte. Denn obwohl das Organisationspr<strong>in</strong>zip<br />
der Obleute, die Matrosenräte und die Berl<strong>in</strong>er Streikleitung von <strong>1918</strong> schon räteförmig<br />
waren, gab es bisher ke<strong>in</strong>erlei Theorie oder Konzept für e<strong>in</strong> Rätesystem<br />
<strong>in</strong>nerhalb der sozialistischen Arbeiterschaft. Wie <strong>in</strong> Russland entstanden die Räte<br />
auch <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> spontan aus der Praxis des politischen Kampfes heraus. 24<br />
Richard Müller und Ernst Däumig gründeten nun die Zeitschrift „Der Arbeiter-<br />
Rat“, entwarfen quasi nachträglich e<strong>in</strong>e eigene Rätetheorie, das sogenannte „re<strong>in</strong>e<br />
Rätesystem“. Hier wurde erstmals der Entwurf e<strong>in</strong>er kompletten Rätedemokratie<br />
vom e<strong>in</strong>zelnen Betriebsrat über Industriegruppen- , Bezirks- und Branchenräte bis<br />
h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>em Reichswirtschaftsrat vorgelegt. 25<br />
Anfang <strong>1919</strong> wurden die Forderungen nach Sozialisierung und Arbeiterkontrolle,<br />
die vom Rat der Volksbeauftragten bisher verschleppt worden waren, beständig<br />
lauter. In den Fabriken und Bergwerken sah man die Revolution noch<br />
nicht als abgeschlossen an, die Enttäuschung über die h<strong>in</strong>haltende, <strong>in</strong> den Januarkämpfen<br />
<strong>1919</strong> blutig repressive Politik der SPD wuchs <strong>in</strong>nerhalb der gesamten<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich handelt es sich bei dem undatierten Dokument um e<strong>in</strong>e Rede vor der Berl<strong>in</strong>er Vollversammlung<br />
der Arbeiter- und Soldatenräte am 23.12.<strong>1918</strong>.<br />
22 David Morgan schätzt das Gewicht der Obleute <strong>in</strong> der Partei sehr hoch e<strong>in</strong> und macht unter anderem ihre parteipolitische<br />
Unerfahrenheit für die Erfolglosigkeit der Intervention verantwortlich: „With a credible program<br />
and shrewd political leadership, they could have mounted a formidable threat to the established direction, or<br />
even the existence, of the USPD. Their lack of these assets, than and later, was important for the history of the<br />
party.” (The Socialist Left, S. 211.)<br />
23 Siehe Hoffrogge, Der Mann h<strong>in</strong>ter der <strong>Novemberrevolution</strong>, S. 96 ff.<br />
24 Als Vorläufer ist allerd<strong>in</strong>gs die versammlungsdemokratische Praxis der Gewerkschaftsbasis anzusehen. Siehe<br />
dazu Dirk. H. Müller: Gewerkschaftliche Versammlungsdemokratie und Arbeiterdelegierte vor <strong>1918</strong>, Berl<strong>in</strong><br />
1985.<br />
25 Müllers und Däumigs Schriften zum re<strong>in</strong>en Rätesystem s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Auszügen nachzulesen bei Schneider/Kuda,<br />
e<strong>in</strong>e ausführliche Analyse des re<strong>in</strong>en Rätesystems und e<strong>in</strong> Vergleich mit anarchosyndikalistischen Vorstellungen<br />
f<strong>in</strong>det sich bei Guenter Hottmann: <strong>Die</strong> Rätekonzeptionen (Anm. 2); zur Rätetheorie siehe auch Hoffrogge,<br />
Der Mann h<strong>in</strong>ter der <strong>Novemberrevolution</strong>, S. 108-116.<br />
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