Die Novemberrevolution 1918/1919 in Deutschland
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<strong>Die</strong> demokratischen Forderungen der Gewerkschaften während der Revolution<br />
– mit den Aktionen und vor allem der spontanen Rätebewegung im Rücken – fanden<br />
ihren Niederschlag <strong>in</strong> Geboten der am 11. August <strong>1919</strong> <strong>in</strong> Weimar angenommenen<br />
(bürgerlichen) Verfassung (Art. 151, 159, 165). 28 „Den Gewerkschaften<br />
war damit“, so Michael Schneider, „durch die Verfassung das Recht auf Mitbestimmung<br />
und E<strong>in</strong>flussnahme nicht nur im sozialpolitischen Bereich, sondern<br />
auch bei der Gestaltung des gesamten Wirtschaftslebens zugesprochen worden...“ 29<br />
<strong>Die</strong> vom sozialistischen Ideal geleiteten Vorstellungen für die Praxis, wie sie<br />
von Gewerkschaftern um Theodor Leipart während der Revolution entwickelt<br />
wurden, waren konkreter und führten weiter als die Postulate des immobilen<br />
Kautskyschen „Marxismus“, der <strong>in</strong> der Revolution ke<strong>in</strong>e „Anleitung zum Handeln“<br />
bieten konnte. 30 <strong>Die</strong>se Gewerkschafter orientierten sich an der Demokratisierung<br />
der gesellschaftlichen Verhältnisse als Prozess, sie stritten für die Demokratisierung<br />
<strong>in</strong> der Wirtschaft, konkret für die Demokratisierung der Verfügungsgewalt<br />
über das Eigentum an den volkswirtschaftlich entscheidenden Produktionsmitteln,<br />
zusammengefasst <strong>in</strong> der Erkenntnis: über konsequente – radikale,<br />
weil die Wirtschaft e<strong>in</strong>schließende, – Demokratie zum Sozialismus.<br />
90 Jahre danach bleiben diese Vorstellungen für die neue L<strong>in</strong>ke aktuell und anregend.<br />
Auch heute gilt: Nur die allseitige, alle Bereiche des gesellschaftlichen<br />
Lebens – Wirtschaft, Medien, Bildung u.a.m. – erfassende radikale Demokratisierung<br />
führt zum Sozialismus. Denn dieser kann nichts anderes se<strong>in</strong> als die verwirklichte<br />
konsequente – also radikale – Demokratie. 31 Und: Das kann nur <strong>in</strong>folge<br />
e<strong>in</strong>er breiten und starken Bewegung „von unten“, aus der Gesellschaft heraus<br />
durchgesetzt werden.<br />
28 Nach Art. 151 sollte die Ordnung des Wirtschaftslebens „den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele<br />
der Gewährleistung e<strong>in</strong>es menschenwürdigen Dase<strong>in</strong>s für alle entsprechen“; Art. 159 bestimmte die rechtliche<br />
Voraussetzung der Gewerkschaftsarbeit: „<strong>Die</strong> Vere<strong>in</strong>igungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits-<br />
und Wirtschaftsbed<strong>in</strong>gungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet“; Art. 165 erklärte Tarifverträge<br />
als rechtsverb<strong>in</strong>dlich und legte fest: „<strong>Die</strong> Arbeiter und Angestellten s<strong>in</strong>d dazu berufen,<br />
gleichberechtigt <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft mit den Unternehmern an der Regelung der Lohn- und Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen<br />
sowie an der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte mitzuwirken.“ Es waren E<strong>in</strong>richtungen<br />
vorgesehen wie Betriebs- und Bezirksarbeiterräte sowie e<strong>in</strong> Reichsarbeiterrat; Bezirkswirtschaftsräte<br />
und der Reichswirtschaftsrat, die Arbeits- und Wirtschaftsverhältnisse regeln sollten. Siehe Verfassungen<br />
der deutschen Länder und Staaten. Von 1816 bis zur Gegenwart, Berl<strong>in</strong> 1989, S. 250-253.<br />
29 Michael Schneider: Höhen, Krisen und Tiefen. <strong>Die</strong> Gewerkschaften <strong>in</strong> der Weimarer Republik <strong>1918</strong> bis 1933,<br />
<strong>in</strong>: Ulrich Borsdorf (Hrsg.): Geschichte der deutschen Gewerkschaften. Von den Anfängen bis 1945, Köln<br />
1987, S. 302.<br />
30 Siehe dazu Peter von Oertzen: „Der bl<strong>in</strong>de Glaube an die Macht der `Entwicklung` und die Verwerfung jeder<br />
konkreten Zukunftsperspektive hatten die Sozialisten an der Schwelle der Revolution ohne e<strong>in</strong> brauchbares<br />
Aktionsprogramm gelassen. Nur für den Ausbau der Sozialpolitik und vor allem für die Schaffung e<strong>in</strong>er<br />
parlamentarischen Demokratie besaß die Sozialdemokratie praktikable Vorstellungen.“ (Ders. , Betriebsräte,<br />
S. 253/254; auch S. 35, 37, 44, 49, 231-233, 264, 291).<br />
31 Siehe dazu Plener, Wirtschaften, Kapitel V und VI, S. 125-190.<br />
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