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Die Novemberrevolution 1918/1919 in Deutschland

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graphie: Wo, an welchem Ort, <strong>in</strong> welcher Region treten welche Intellektuellen hervor?<br />

Also etwa: Berl<strong>in</strong>, München … Oder die Chronologie, die Auflistung revolutionärer<br />

Aktivitäten <strong>in</strong> zeitlicher Reihenfolge mit Berücksichtigung der Beteiligung<br />

Intellektueller. Aber die Topographie der Revolution und ihre Chronologie<br />

ersetzen nicht die systematisierende Analyse. Wer diese anstrebt, setzt sich anderseits<br />

dem Vorwurf aus, pedantisch zu sortieren: „Schubladendenken“! E<strong>in</strong> Autor<br />

z. B. wie Kurt Hiller: bürgerlicher Herkunft, kritisch den Arbeiterparteien gegenüber,<br />

wird <strong>in</strong> der Revolution <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> der Vorsitzende des Politischen Rates<br />

geistiger Arbeiter, etabliert sich als Pazifist, nennt sich selber Sozialist. E<strong>in</strong> marxistischer<br />

Gegner qualifizierte ihn e<strong>in</strong>stmals als „revolutionären Querkopf“. War<br />

er es? Falls es zutrifft, dann lag er, der <strong>in</strong> jede Schublade gepasst hätte, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

für sich. <strong>Die</strong> Schwierigkeit, die entsteht, ist ohneh<strong>in</strong> die der möglichen Mehrfachzuweisungen.<br />

Zweites Beispiel Ernst Toller: bürgerlicher Herkunft, als Sozialist<br />

Mitglied der USPD, führend <strong>in</strong> der Münchner Räterepublik, als Pazifist zum<br />

„Heerführer“ der Räte-Armee geworden, später <strong>in</strong> der „Gruppe Revolutionärer<br />

Pazifisten“ (GRP) aktiv, die Kurt Hiller führte. Persönlichkeiten gleich diesen<br />

sche<strong>in</strong>en sich gegen jede E<strong>in</strong>ordnung zu sperren.<br />

H<strong>in</strong>zukommt: In veränderter Situation können e<strong>in</strong>stmals gültige Zuweisungen<br />

h<strong>in</strong>fällig werden, während neue größte Wichtigkeit beanspruchen. War z. B. Thomas<br />

Manns Haltung <strong>1918</strong> die e<strong>in</strong>es konservativ-nationalistischen Gegners des<br />

Umsturzes, wuchs er <strong>in</strong> der Weimarzeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e demokratische Position h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, von<br />

da aus nach 1933 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e antifaschistische. Jetzt galt überall die Frage, der sich<br />

ke<strong>in</strong> europäischer Intellektueller entziehen konnte: Faschist oder Antifaschist?<br />

Am weitesten sche<strong>in</strong>t der Vorsatz zu führen, die zeitgenössischen Intellektuellen<br />

e<strong>in</strong>er Revolutionsära <strong>in</strong> Gruppen zusammenzudenken – nicht um sie <strong>in</strong> Schubladen<br />

abzulegen, sondern um über sie zu sprechen mit Verwendung e<strong>in</strong>er pr<strong>in</strong>zipiell<br />

flexiblen Begrifflichkeit, e<strong>in</strong>er dialektisierenden, d. h. mit ständiger Bereitschaft<br />

des Forschers, Widersprüche, Übergänge, Seitenwechsel, Abdikationen und<br />

Metamorphosen der e<strong>in</strong>zelnen Intellektuellen stets e<strong>in</strong>zukalkulieren, das Provisorische<br />

der hierbei angewandten Kriterien nie aus den Augen zu verlieren, sondern<br />

se<strong>in</strong>er beharrlich e<strong>in</strong>gedenk zu se<strong>in</strong>.<br />

Dann stellt sich als erstes die Aufgabe der Ermittlung der politischen Haltung<br />

(welche e<strong>in</strong>genommen? konstant? veränderlich?), des Motivs (Ursprung der Bereitschaft<br />

zum E<strong>in</strong>greifen), der Mitgliedschaft <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Partei (ob überhaupt; beibehalten,<br />

aufgegeben?). Ferner: konkrete Beteiligung des e<strong>in</strong>zelnen, Erlebnisse<br />

(wie von ihm bewertet?), ob Bericht darüber (Niederschrift verfasst oder ke<strong>in</strong>e?).<br />

Se<strong>in</strong>e Beurteilung rezenter historischer Ereignisse: Weltkrieg, Raubfriede von<br />

Brest-Litowsk, Oktober- und <strong>Novemberrevolution</strong>. E<strong>in</strong>stellung zu Kampfmitteln<br />

(bewaffneter Kampf bejaht oder nicht?), zur Zukunftsperspektive der Revolution,<br />

der Bevölkerung, des Reichs.<br />

7 Klaus Schröter: Thomas Mann <strong>in</strong> Selbstzeugnissen und Dokumenten, Re<strong>in</strong>bek 1964, S. 90.<br />

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