Die Novemberrevolution 1918/1919 in Deutschland
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Nach der Revolution von 1848/49 hatten die Thür<strong>in</strong>gischen Kle<strong>in</strong>staaten als e<strong>in</strong><br />
„Hort der Freiheit“ gegolten. Der preußische Gesandte am Hof des Weimarer Herzogs<br />
charakterisierte 1869 die Bevölkerung Thür<strong>in</strong>gens als durchweg liberal, demokratisch<br />
und republikanisch. 21 Kennzeichnend für diese liberale Atmosphäre<br />
war die Begrüßung August Bebels durch den Eisenacher Polizei<strong>in</strong>spektor 1869 am<br />
Beg<strong>in</strong>n des Gründungsparteitages der Sozialdemokratischen Partei: „Sie s<strong>in</strong>d hier<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em freien Lande, Sie können hier sprechen und beschließen, was Sie wollen.<br />
– Wir werden nicht danach fragen.“ 22 <strong>Die</strong> soziale Situation der thür<strong>in</strong>gischen<br />
Arbeiter war im Vergleich zu anderen Regionen des Kaiserreiches jedoch noch<br />
schlechter. 23 <strong>Die</strong> Sozialdemokratie gewann <strong>in</strong> diesem von „Verbitterung und Verdrossenheit“<br />
bestimmten Umfeld mit ihren visionären Zielstellungen, die vielen<br />
Notleidenden wieder e<strong>in</strong>en Lebenss<strong>in</strong>n gab, schnell an E<strong>in</strong>fluss. 24<br />
Bereits <strong>in</strong> den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts zogen Sozialdemokraten <strong>in</strong> die<br />
kle<strong>in</strong>staatlichen Landtage e<strong>in</strong> und begannen, e<strong>in</strong>e stetig anwachsende parlamentarische<br />
Präsenz aufzubauen. 25 In e<strong>in</strong>igen Landtagen gelang es den Abgeordneten der<br />
SPD, durch Zusammenarbeit mit den Liberalen und den Regierungen bestimmte<br />
Forderungen im Interesse der arbeitenden Bevölkerung durchzusetzen. Damit zeigte<br />
die Sozialdemokratie, dass sie nicht nur die Erreichung ihres Endziels vorbereitete,<br />
sondern auch für die Gegenwarts<strong>in</strong>teressen der Arbeiter wirkte. 26 <strong>Die</strong> Regierungskoalitionen,<br />
die Sozialdemokraten beider Richtungen mit den bürgerlichen Demokraten<br />
<strong>in</strong> den Anfang <strong>1919</strong> neu gewählten Landtagen mit Ausnahme Sachsen-Gothas<br />
e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>gen 27 , lagen <strong>in</strong> der Kont<strong>in</strong>uität sozialdemokratischer parlamentarischer<br />
Tradition und liberaler bürgerlicher Demokratie <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen.<br />
Im Zuge der Industrialisierung während des letzten Drittels des 19. Jh. bildeten<br />
sich <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen zwei Industrielandschaften heraus. Während <strong>in</strong> den Dörfern und<br />
Landgeme<strong>in</strong>den des Thür<strong>in</strong>ger Waldes weiterh<strong>in</strong> die aus der vor<strong>in</strong>dustriellen Zeit<br />
stammenden Strukturen dom<strong>in</strong>ierten, veränderte sich die <strong>in</strong>dustrielle Basis <strong>in</strong> der<br />
ostthür<strong>in</strong>gischen Region erheblich. Sowohl die Textilproduktion, als auch die Metallwarenherstellung<br />
und die Papier- und Lederproduktion wurden nun zunehmend<br />
fabrikmäßig betrieben. Zum größten Unternehmen <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen wurde das<br />
Zeiss-Werk <strong>in</strong> Jena. Insbesondere <strong>in</strong> Ostthür<strong>in</strong>gen entwickelte sich die Sozialdemokratie<br />
zur Milieupartei e<strong>in</strong>es schnell anwachsenden Industrieproletariats. 28<br />
21 Siehe Rudolph, Untergang auf Raten, Weimar 1930, S. 19.<br />
22 Protokoll über die Verhandlungen des Allgeme<strong>in</strong>en Deutschen sozial-demokratischen Arbeiterkongresses zu<br />
Eisenach am 7., 8. und 9.8.1869, Leipzig 1869, S. 7.<br />
23 Siehe Hess, Geschichte Thür<strong>in</strong>gens, S. 141/142.<br />
24 Siehe ebenda, S. 146.<br />
25 Zur Entwicklung der SPD bis 1914 <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen <strong>in</strong>sgesamt siehe Hess, Geschichte Thür<strong>in</strong>gens, S. 95/96.<br />
26 Siehe Wilhelm Bock: Im <strong>Die</strong>nste der Freiheit. Freud und Leid aus sechs Jahrzehnten Kampf und Aufstieg,<br />
Berl<strong>in</strong> 1927, S. 58.<br />
27 Siehe Häupel, <strong>Die</strong> Gründung des Landes Thür<strong>in</strong>gen, S. 64-67.<br />
28 Siehe hierzu <strong>in</strong>sgesamt Franz Walter: Thür<strong>in</strong>gen – E<strong>in</strong>st Hochburg der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung?<br />
In: Internationale Wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung,<br />
28. Jg. (1992), S. 21-39.<br />
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