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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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Der Erzählung in der Genesis entsprechend wurde Sodomie zum Inbegriff der<br />

sexuellen Lasterhaftigkeit, ohne dass konkrete Praktiken als solche bezeichnet<br />

worden wären. So vage auch <strong>die</strong> theologische Definition der Sodomie bis ins<br />

Mittelalter blieb, in einem Punkt unterschied sie sich klar von anderen sexuellen<br />

Sünden: Sodomie war eine »<strong>wider</strong>natürliche« Sünde (peccatum contra naturam).<br />

Natürlich/<strong>wider</strong>natürlich entspricht aber nicht dem modernen Gegensatzpaar<br />

heterosexuell/homosexuell, da das Verständnis des naturgemäßen und gegen <strong>die</strong><br />

<strong>Natur</strong> gerichteten Verhaltens über <strong>die</strong> persönliche sexuelle Orientierung hinausging.<br />

Bernd-Ulrich Hergemöller weist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang darauf hin, dass<br />

der von mittelalterlichen Theologen benutzte <strong>Natur</strong>begriff an das antike Modell<br />

des Aristoteles angelehnt war.<br />

»Im Hoch- und Spätmittelalter wird <strong>die</strong> ›<strong>Natur</strong>‹ unter Bezug auf Aristoteles als eine selbständige<br />

Größe aufgefaßt, <strong>die</strong> in dynamischer Form auf einen metaphysischen<br />

Endzustand dränge und alle Menschen verpflichte, sich durch eheliche Artmehrung<br />

(generatio prolis) am gottgewollten Entwicklungsprozeß zu beteiligen. Die typisch<br />

mittelalterliche Dichotomie ›naturgemäß‹ (naturaliter) und ›gegen <strong>die</strong> <strong>Natur</strong>‹ (contra<br />

naturam) entspricht also nicht der modernen Dichotomie ›Homo- und Heterosexualität‹«<br />

(Hergemöller 1998b:19).<br />

Gegen <strong>die</strong> <strong>Natur</strong> zu handeln, hieß demzufolge, sich dem göttlichen Willen der<br />

(ehelichen) Fortpflanzung zu entziehen. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind<br />

nur eine Facette der nicht-generativen Sexualität, weshalb eine Gleichsetzung von<br />

Sodomie mit Homosexualität im historischen Kontext zu kurz gegriffen ist.<br />

Sodomie umfasste neben gleichgeschlechtlichen sexuellen Praktiken und<br />

Bestialität auch »heterosexuellen« Oral- und Analverkehr sowie Coitus interruptus,<br />

Masturbation und alle übrigen, gegen den göttlichen Prokreationsauftrag verstoßenden<br />

sexuellen Praktiken. Sexuelle Verhaltensweisen, <strong>die</strong> nicht dem (ehelichen)<br />

Fortpflanzungsideal entsprachen und/oder <strong>die</strong> heterosexuelle Matrix<br />

sprengten, wurden im mittelalterlichen theologischen Diskurs als »<strong>wider</strong>natürliche<br />

Sünden« bezeichnet. Wie Helmut Puff kürzlich gezeigt hat, war <strong>die</strong> Bezeichnung<br />

»<strong>wider</strong> <strong>die</strong> <strong>Natur</strong>« in deutschen und Schweizer Gebieten nicht Teil des allgemeinen<br />

und alltäglichen Sprachgebrauchs, sondern wurde in der Frühen Neuzeit spezifisch<br />

von theologischen und juristischen Experten sowie den verfolgenden<br />

Obrigkeiten gebraucht (Puff 2004:241).<br />

Die Abhandlung der »<strong>wider</strong>natürlichen Sünden« blieb nicht auf den gelehrten<br />

theologischen Diskurs beschränkt, <strong>die</strong>se wurden auch in den praxisorientierten<br />

Handbüchern für Beichtväter und in Bußbüchern thematisiert (Lutterbach 1999).<br />

Die Beichtinstruktionen geboten den Priestern aber Vorsicht bei der Frage nach<br />

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