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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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einem Ziegenkopf und Hörnern zur Welt gekommen (Buchner 1925:83). 1723<br />

berichtete der Europäische Postillion von einer Kuh, <strong>die</strong> zwei Kinder zur Welt<br />

gebracht habe, »weßwegen man den Hirten in Verdacht hat« (zitiert nach: Buchner<br />

2/1911:18). Die mit antiken mythologischen Wesen angereicherten Bestiarien verliehen<br />

den Mischwesen Popularität. Zentauren, Satyre, der Minotaurus und hundeköpfige<br />

Menschen, um nur einige Beispiele zu nennen, fanden sich neben<br />

Elefanten, Kamelen und Delphinen (Salisbury 1994:1-11; Thomas 1984:134). Die<br />

christlichen Vorstellungen von Dämonen und Teufeln weisen unübersehbare<br />

Parallelen zum Erscheinungsbild der antiken Mythenwesen, insbesonders jenem<br />

der Satyre, auf (Dekkers 1994:20). So verwundert es auch nicht, dass zu den im<br />

mittelalterlichen Europa verbreiteten Imaginationen der Hölle <strong>die</strong> Angst gehörte,<br />

bestialisiert zu werden. Überhaupt sei das Bild der Hölle von brutaler (sexueller)<br />

Gewalt gekennzeichnet gewesen, ausgeführt von hybriden Monstern, wie Hartmut<br />

Böhme beschreibt:<br />

»Symptomatisch ist, dass in den mittelalterlichen Höllenvisionen eine enge Fusion von<br />

oral-aggressiven, sadistischen, sexuellen und gebärenden Abläufen vorgenommen wurde,<br />

eine totale Grenzauflösung der differenzierten Körperfunktionen, einhergehend mit einer<br />

hybriden Symbiose der eigentlich getrennten Morphologien von Tier- und<br />

Menschenformen: Genau <strong>die</strong>s ist das Monströse der Hölle. Sie ist selbstverständlich voll<br />

von sexuellen Perversionen aller Art – und hierbei spielen <strong>die</strong> tierhaften Monster, <strong>die</strong><br />

Strafexperten Satans, eine erfindungsreiche Rolle, wenn sie jede vergewaltigende, analoder<br />

oral-sadistische, sodomitische, kannibalische, zerstückelnde Sexualpraktik in Szene<br />

setzen« (Böhme 2001:253f).<br />

Während im frühen Mittelalter noch Einigkeit unter den Theologen herrschte,<br />

dass Dämonen sich mit Menschen nicht »fleischlich vermischen« könnten, weil sie<br />

ja aus Luft beständen, verbreitete sich im 12. Jahrhundert <strong>die</strong> Vorstellung ihrer<br />

Verwandlungsfähigkeit in incubi, mit Frauen buhlende Teufel, und succubi, mit<br />

Männern buhlende Teufel. In den meisten Berichten war der Dämon als schöner<br />

Jüngling oder als schöne Jungfrau verkleidet, aber in populären Vorstellungen hatte<br />

der Teufel und sein Gefolge eine halb- oder völlig tierische Gestalt (Salisbury<br />

1994:98). Zugleich wurden »<strong>wider</strong>natürliche« sexuelle Praktiken diskursiv mit<br />

Häresie, dem ketzerischen Abweichen vom dogmatisierten christlichen Glauben,<br />

verknüpft. Häresie wurde aber nicht nur von der Kirche verfolgt, sondern bedeutete<br />

auch eine Beleidigung der gottesfürchtigen Majestät. Es ist daher kein Zufall,<br />

dass <strong>die</strong> Anklagen der großen politischen Prozesse des 13. und 14. Jahrhunderts <strong>die</strong><br />

häretische Haltung der Angeklagten mit den angeblichen sexuellen Ausschweifungen<br />

derselben untermauerten. Die in Italien und Frankreich stattfindenen<br />

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