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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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mit Tieren im 16. Jahrhundert zu einem Kapitalverbrechen wurde. Sie stellt fest,<br />

dass populäre, juristische und naturwissenschaftliche Texte des 16. und 17.<br />

Jahrhunderts verstärkt den Status des Menschseins in Abgrenzung zur Tierwelt thematisieren.<br />

Die Angst vor der Übertretung und dem Verschwimmen <strong>die</strong>ser Grenze<br />

verdeutliche sich vor allem in zahlreichen Berichten über menschlich-tierische<br />

Mischwesen, <strong>die</strong> nicht nur als übernatürliche Vorboten von Katastrophen, sondern<br />

auch als Resultat des sündhaften Übertretens der Gattungsgrenzen, der<br />

Vermischung zwischen Mensch und Tier interpretiert werden konnten.<br />

1.1.3. Heterosexuelle Sodomie, Masturbation und Nekrophilie<br />

Nicht-prokreative heterosexuelle Praktiken, Masturbation und Nekrophilie<br />

gehören eher zu den Randthemen historischer Forschung. Während <strong>die</strong> Verfasser<br />

von medizinischen und pädagogisch-moralischen Schriften des ausgehenden 18.<br />

Jahrhunderts von der Onanie geradezu »besessen« zu sein scheinen (Rohlje 1991;<br />

Wernz 1993:94-97; Eder 1994:57-62, Braun 1995), maßen ihr <strong>die</strong> strafrechtlichen<br />

Bestimmungen der Frühen Neuzeit kaum Bedeutung bei. Wenngleich sich mittelalterliche<br />

Theologen in Buß- und Beichtbüchern (Elliot 1997:1-23) ausführlich mit<br />

Masturbation und »Pollution«, d.h. unwillkürlichem nächtlichen Samenerguss,<br />

befassten, wurde <strong>die</strong> religiöse Verdammung der »an sich selbst verübten Sünde«<br />

nicht direkt vom weltlichen Strafrecht übernommen. Die Peinliche Gerichtsordnung<br />

Kaiser Karls V. von 1532 bezeichnete nur Bestialität und gleichgeschlechtliche<br />

Beziehungen explizit als »unkeusch <strong>wider</strong> <strong>die</strong> natur« (Carolina Art.<br />

116). In juristischen Kommentaren und Handbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts<br />

galt <strong>die</strong> Masturbation nichtsdestotrotz als eine Spielart der »<strong>wider</strong>natürlichen<br />

<strong>Unkeusch</strong>heit«. Ins Strafrecht fand Masturbation erst mit der Constitutio<br />

Criminalis Theresiana (1768) Eingang, <strong>die</strong> »<strong>die</strong> von Jemanden allein begehend<strong>wider</strong>natürliche[n]<br />

<strong>Unkeusch</strong>heiten« zum Verbrechen erklärte.<br />

Zum medizinisch-moralischen Thema wurde <strong>die</strong> Onanie mit der Verbreitung von<br />

Tissots Buch »De l’onanisme« (1760), wie Karl Braun anhand des Umgangs mit<br />

Onanie im rigiden Protestantismus aufzeigt (Braun 1995:89-102). Wie Thomas<br />

Walter Laqueur in seiner kulturhistorischen Stu<strong>die</strong> zur Masturbation (Laqueur<br />

2003) herausarbeitet, war der »einsame Sex« schon Jahrzehnte vor Tissots Buch in<br />

dem um 1712 erschienenen Werk Onania von John Marten popularisiert worden.<br />

Franz X. Eder beschäftigt sich in einem Kapitel seines Buches »Kultur der Begierde«<br />

mit dem medizinisch-pädagogischen Diskurs um <strong>die</strong> Onanie im deutschsprachigen<br />

Raum in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts (Eder 2002:91-<br />

126). Die von Ärzten und Pädagogen geäußerten Therapie- und Präventionsmaßnahmen<br />

sieht er aber nicht primär als Ausdruck sexueller Repression an: »Die<br />

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