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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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net. Rousseau argumentierte, wie sich unschwer erkennen lässt, mit einer säkularisierten<br />

Version des Sündenfalles. Der Mensch als Krone der Schöpfung sei durch<br />

den Gewinn der Erkenntnis (Gebrauch des Verstandes) zum Beherrscher und<br />

Nutznießer der <strong>Natur</strong> geworden (Meyer 2000:347-353).<br />

Die in religiöser oder säkularisierter Form propagierte Idee, dass der Mensch <strong>die</strong><br />

<strong>Natur</strong> zu beherrschen habe, floss in <strong>die</strong> frühneuzeitlichen wissenschaftlichen<br />

Bemühungen ein, das Verhältnis von Menschen und Tieren zueinander zu bestimmen.<br />

Die Ordnung der <strong>Natur</strong> wurde seit dem 18. Jahrhundert häufig in Form von<br />

Stufenleitern repräsentiert, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Vervollkommnung und Differenzierung vom<br />

niedrigsten bis zum höchsten Lebewesen darstellen (Meyer 2000:377). Aus der<br />

christlichen Perspektive sollten Tiere dem Menschen nicht bloß als Arbeitskräfte<br />

und Nahrungsspender <strong>die</strong>nen, sondern sie galten auch als Demonstration der göttlichen<br />

Vollkommenheit. In den nutzbringenden, friedlichen und schönen Lebewesen<br />

manifestierte sich <strong>die</strong> Schöpfungskraft Gottes. Schädliche und gefährliche<br />

Tiere wurden analog zu den <strong>Natur</strong>katastrophen von kirchlichen und weltlichen<br />

Machthabern in der Regel als Strafe Gottes interpretiert – eine Interpretation, <strong>die</strong><br />

half Hierarchien durchzusetzen.<br />

Die Kritik an der christlich-utilitaristischen Einstellung zu Tieren und zur <strong>Natur</strong><br />

zieht sich bis ins späte 20. und frühe 21. Jahrhundert. Nach (öko)feministischer<br />

Deutung wurde nicht nur <strong>die</strong> <strong>Natur</strong> dem Menschen untergeordnet, sondern <strong>die</strong><br />

zweite Schöpfungsgeschichte, nach der Eva aus einer Rippe Adams geformt worden<br />

war (Gen 2,18-25), <strong>die</strong>nte auch der hierarchischen Unterordnung des einen<br />

Geschlechts unter das andere. Die erste Schöpfungsgeschichte (Gen 1,27), nach<br />

der Gott Mann und Frau zugleich geschaffen hatte, wurde dagegen meist verschwiegen.<br />

In ihrem Buch »Der Tod der <strong>Natur</strong>« kritisiert <strong>die</strong> Ökofeministin<br />

Carolyn Merchant <strong>die</strong> Erzählung vom Sündenfall als einen Ausdruck männlicher<br />

Egozentrik im jüdisch-christlichen Denken. Ähnlich auch Maria Suutala in einer<br />

wissenschaftshistorischen Analyse:<br />

»[...] nach dem Sündenfall wird der Mann ein Erfinder von Werkzeugen und<br />

Technologien, der das Para<strong>die</strong>s wiederherstellen will, im Gegensatz zu der Frau, <strong>die</strong> mit<br />

der <strong>Natur</strong> zusammen bezähmt und dem Mann untertan gemacht werden soll. Die gefallene<br />

Frau und <strong>Natur</strong> verkörpern Unordnung, Wildnis und werden verteufelt« (Merchant<br />

1983:23f; Suutula 1999:28).<br />

Auch wenn ökofeministische Stu<strong>die</strong>n wegen ihres zuweilen esoterisch anmutenden<br />

Essentialismus auch innerhalb der feministischen Forschung zu Recht kritisiert<br />

wurden, bilden ihre Stu<strong>die</strong>n doch ein wichtiges Gegengewicht zum männlich<br />

dominierten Mainstream der Wissenschaftsgeschichte.<br />

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