Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
zeitlichen Medizin gegenüber. Sexualität galt angelehnt an den berühmten arabischen<br />
Arzt Avicenna (gest. 1037) als gesundheitsfördernde Aktivität. Avicenna<br />
konstatierte zudem einen kausalen Zusammenhang zwischen sexueller Lust und<br />
Fruchtbarkeit. Diese Auffassung, dass zur Zeugung eines Kindes der Orgasmus der<br />
Frau genauso notwendig sei wie jener des Mannes, fand noch im 16. und 17.<br />
Jahrhundert große Zustimmung (Laqueur 1997:219-243). Sie basierte auf der<br />
Galen’schen »Zwei-Samen-Theorie«, der zufolge nur <strong>die</strong> Vermischung des männlichen<br />
mit dem weiblichen Samen zu einer Schwangerschaft führen könne. Die<br />
Ansicht, dass lediglich der Mann Sperma abgebe und nur <strong>die</strong>ses für <strong>die</strong> Zeugung<br />
relevant sei, hatte sich bei der Mehrzahl der Mediziner bis weit in <strong>die</strong> Frühe<br />
Neuzeit nicht durchgesetzt. Sie vertraten hingegen einen gemäßigten Galenismus<br />
(Otis-Cour 2000:104f; Braun 1995:37-53).<br />
In frühneuzeitlichen Gerichtsordnungen spielt <strong>die</strong> Kategorie »Lust« als<br />
»Wollust« jedoch nur eine negative Rolle. So definierte <strong>die</strong> für Böhmen, Mähren<br />
und Schlesien gültige Halsgerichtsordnung Josephs I. (1707) <strong>die</strong> »sodomitische<br />
Sünde« als »eine unzuläßige, und <strong>wider</strong> <strong>die</strong> <strong>Natur</strong> strebende Wollust«, <strong>die</strong> auch<br />
geschehe, wenn »Weib mit Mann <strong>wider</strong> <strong>die</strong> <strong>Natur</strong> etwas fleischliches verübete«<br />
(Josephina 1707: Art. 19 §19). Die bereits erwähnte Theresiana (1768) übernahm<br />
<strong>die</strong>sen neu explizierten Tatbestand der »heterosexuellen Sodomie«. Der juristische<br />
Diskurs befasst sich jedoch schon früher damit. So erläutert etwa der flämische<br />
Rechtsgelehrte Jost Damhouder in einem juristischen Handbuch Mitte des 16.<br />
Jahrhunderts, dass es mehrere Formen der »<strong>wider</strong>natürlichen <strong>Unkeusch</strong>heit« gebe.<br />
»Mit Menschen von vnterschiedner Eygenschafft deß Geschlechts« geschehe <strong>die</strong>se<br />
auf zwei Arten, nämlich »wann eheliche oder sonst andere beyschlaffende Manns<br />
vnd Weibspersonen [<strong>die</strong>] eingepflantzete Ordnung der <strong>Natur</strong> verlassen, vnd weder<br />
an gebührlichen Gliedern, noch gebürlicher gestalt, jre Vnkeuschheit üben vnd<br />
vollbringen« (Damhouder deutsch 1581:161).<br />
Auch wenn sodomitisch-heterosexuelle Praktiken erst spät in weltlichen Strafgesetzen<br />
angeführt wurden, so konnten sie doch, wie etwa Cornelia Schörkhuber-<br />
Drysdale in ihrer Diplomarbeit über Ehekonflikte im katholischen Oberösterreich<br />
des 18. Jahrhunderts zeigt, vor einem geistlichen Gericht als Argument für eine<br />
Trennung von Tisch und Bett verwendet werden. Die Schilderung des ehelichen<br />
Analverkehrs von Rosina Peislin und Paul Peisl vor dem bischöflichen<br />
Konsistorium blieb allerdings ohne strafrechtliche Konsequenzen (Schörkhuber-<br />
Drysdale 2000:127f). In strafrechtlicher Hinsicht folgenlos blieb auch <strong>die</strong><br />
Erwähnung sodomitischer Praktiken in einem Ende des 16. Jahrhunderts vor einem<br />
weltlichen Gericht in Venedig geführten Verfahren wegen physischer Gewalt, über<br />
das Daniela Hacke berichtet (Hacke 2002:344-350).<br />
Empirische Belege für frühneuzeitliche Gerichtsverfahren wegen Nekrophilie<br />
28