Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
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Magdalena Gallin bzw. beiden begegnet waren. Eine besondere Rolle spielten <strong>die</strong><br />
Aussagen der Familienangehörigen. Während Magdalena Gallin von ihrer<br />
Verwandtschaft keinerlei Unterstützung erfuhr, ließ Fromet Löbl in ihrem und ihrer<br />
Kinder Namen ein Gnadengesuch aufsetzen und bewirkte damit <strong>die</strong> vorzeitige<br />
Entlassung ihres Mannes aus dem Linzer Zucht- und Arbeitshaus. Der dritte Schritt<br />
der Analyse soll in Anlehnung an Carlo Ginzburg <strong>die</strong> historisch-anthropologische<br />
Dimension von Gerichtsprotokollen thematisieren (Ginzburg 1994:203-218). Es<br />
geht um <strong>die</strong> von zynischem Interesse gekennzeichnete Kommunikation über <strong>die</strong><br />
Angeklagten zwischen dem Landgerichtsverwalter Kilian Thonmayr und dem landeshauptmannschaftlichen<br />
Rechtsgutachter Dr. Franz Xaver Gruber. Interesse und<br />
Zynismus, aber auch eine »anthropologische Haltung« äußern sich zudem in einzelnen<br />
Verhörsequenzen und den deskriptiven Notizen, <strong>die</strong> zwischen den Fragen<br />
und Antworten der Verhöre eingeflochten sind. Die drei Analyseschritte sollen den<br />
komplexen Zusammenhang von Fremdheit, Devianz und Geschlecht am gewählten<br />
Fallbeispiel verdeutlichen: Welche Optionen gab es für <strong>die</strong> an <strong>die</strong>sem Prozess<br />
Beteiligten? Welche Rolle spielte <strong>die</strong> ethnisch-religöse Zugehörigkeit, welche<br />
Rolle <strong>die</strong> Nichtsesshaftigkeit, welche Rolle das Geschlecht für den Verlauf und<br />
Ausgang des Prozesses?<br />
Neunmal wurden Magdalena Gallin und Isaak Löbl vom Landgericht Freistadt<br />
verhört. Bereits bei der ersten Befragung divergierten <strong>die</strong> Aussagen der beiden. Am<br />
Beginn standen <strong>die</strong> üblichen Fragen bezüglich Religion, Herkunft, Familienstand,<br />
Besitz und Beruf (Generalia). Von Isaak Löbl, der immer vor Magdalena Gallin<br />
verhört wurde, wollte Kilian Thonmayr wissen, was genau er im Mühlviertel getan<br />
habe, warum er ohne Pass umherzog, woher er das mit ihm verhaftete »Weibsbild«<br />
kannte und – beinah beiläufig – ob sie sich ihm oder er sich ihr im Stadel der<br />
Schneiderin sexuell angenähert habe. Der Inquisit schilderte seine Handelstätigkeit<br />
in ausführlicher Weise. Pass habe er keinen, und er habe auch noch nie einen<br />
gebraucht. Er kenne mehrere Juden, <strong>die</strong> keinen Pass hätten. Doch da er nun wisse,<br />
dass er für seine Handelstätigkeit einen Pass brauche, werde er sich »schon auf das<br />
nechste um einen Paß umsehen«. Die Begegnung mit Magdalena Gallin schilderte<br />
er als eine zufällige. Sie sei am Wegesrand gesessen und habe ihn nach einer<br />
Soldatenfrau gefragt, für <strong>die</strong> sie arbeiten wolle. Nachdem er gerade viel zu tragen<br />
hatte, habe er sie gefragt, ob sie nicht seine Waren tragen wolle. Mit Vehemenz<br />
wies er zurück, dass zwischen den beiden etwas »Unehrbares« vorgefallen sei:<br />
»Behütte Gott, wir haben gar nichts Vorgehabt, und wenn sie das sagen kann, so<br />
will ich gleich sterben, ich bin schon so lang verheurathet, hab schon große Kinder,<br />
mithin faltete mir kein solcher Spaß mehr ein«.<br />
Das erste Verhör mit Magdalena Gallin war ähnlich aufgebaut. Nachdem sie <strong>die</strong><br />
üblichen Daten zu ihrer Person angegeben hatte, wurde sie – ebenfalls standardmä-<br />
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