Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
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»alleruntertänigsten Vorträgen« im Juni und Oktober 1767 reagierte, worin unter<br />
anderem auch der 74. Artikel »von der <strong>Unkeusch</strong>heit <strong>wider</strong> <strong>die</strong> <strong>Natur</strong>« vorkam.<br />
Leider sind <strong>die</strong>se beiden »Vorträge« nicht mehr erhalten. 51<br />
Am 31. Dezember 1768 wurde <strong>die</strong> Constitutio Criminalis Theresiana kundgemacht<br />
und trat mit 1. Jänner 1770 in Kraft (Kwiatkowski 1903:21-28). Große<br />
Veränderungen des ausgesprochen konservativen Strafgesetzbuches kamen nicht<br />
mehr zustande. Eine im Februar 1769 einlangende Stellungnahme des Hof- und<br />
Staatskanzlers Kaunitz fasste <strong>die</strong> Kritikpunkte an der Theresiana zusammen:<br />
Kaunitz kritisierte <strong>die</strong> mangelnde Präzision der Theresiana und den dadurch entstehenden<br />
großen Ermessensspielraum für <strong>die</strong> Richter. Bestrafungsformen wie <strong>die</strong><br />
Brandmarkung und der Landesverweis seien genauso grausam und ungerecht wie<br />
der Einsatz der Folter bei der Ermittlung. Zauberei und ähnliche abergläubische<br />
Dinge sollten nicht Teil eines aufgeklärten Strafrechts sein (Foregger 1993:9).<br />
Doch Kaunitz zog seine Kritik im gleichen Schreiben wieder zurück. Er habe<br />
bestimmte Aspekte deshalb negativ bewertet, weil er der irrtümlichen Auffassung<br />
war, Maria Theresia habe ein neues Gesetzeswerk in Auftrag gegeben, nicht, wie<br />
er jetzt wisse, eine Kompilation aus älteren Strafgesetzbüchern. 52<br />
War <strong>die</strong> Konzeption der Sodomie in der Ferdinandea (und auch in der<br />
Leopoldina) noch auf gleichgeschlechtliche Sexualität sowie sexuelle Handlungen<br />
mit Tieren beschränkt, so hatte bereits <strong>die</strong> Josephina (1707), deren materielle<br />
Bestimmungen in <strong>die</strong> Theresiana einflossen, auch »<strong>wider</strong>natürliche« heterosexuelle<br />
Praktiken dazugezählt: »Die sodomitische Sünde ist eine unzuläßige, und <strong>wider</strong><br />
<strong>die</strong> <strong>Natur</strong> strebende Wollust, <strong>die</strong>se Geschicht, wann Mann mit Mann, oder Weib<br />
mit Weib, oder aber auch Weib mit Mann <strong>wider</strong> <strong>die</strong> <strong>Natur</strong> etwas fleischliches verübete«<br />
(Josephina 1707: Art.19 §19). Die Constitutio Criminalis Theresiana nahm<br />
<strong>die</strong>sen erweiterten Tatbestand mit einer nur geringfügigen Veränderung des<br />
Wortlauts in den Katalog sexueller Devianzen auf und fügte noch Sexualität mit<br />
einem Leichnam und Selbstbefriedigung hinzu:<br />
»Das abscheulichste Laster der <strong>Unkeusch</strong>heit <strong>wider</strong> <strong>die</strong> <strong>Natur</strong>, oder sodomitische Sünd<br />
wird verübet erstlich: wenn von einem Menschen mit einem Viehe, oder todten Körpern;<br />
andertens: wenn zwischen Personen einerley Geschlechts, als Mann mit Mann, Weib mit<br />
Weib, oder auch Weib mit Mann <strong>wider</strong> <strong>die</strong> Ordnung der <strong>Natur</strong> Unzucht getrieben wird;<br />
worzu drittens: gewissermassen auch <strong>die</strong> von Jemanden allein begehend-<strong>wider</strong>natürliche<br />
<strong>Unkeusch</strong>heiten zu rechnen sind« (Theresiana: Art. 74 §1).<br />
Dieser einleitende, den Tatbestand definierende Paragraph suggeriert eine dreistufige<br />
Wertigkeit der verschiedenen Formen von Sodomie: Bestialität und<br />
Nekrophilie als <strong>die</strong> schlimmsten Ausprägungen, gefolgt von gleichgeschlechtlicher<br />
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