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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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Personen Gehorsam zu finden«. Macht sei hingegen »jede Chance innerhalb einer<br />

sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen,<br />

gleichviel, worauf <strong>die</strong>se Chance beruht« (Weber 5 1976:28). Herrschaft ist demnach<br />

kein bloßer Ausdruck der Macht, sondern an eine bestimmte Legitimation gebunden.<br />

Herrschaft bedarf der Zustimmung und Mitwirkung, um zu »funktionieren«.<br />

Alf Lüdtke schlägt <strong>die</strong> analytische Figur eines »Kräftefeldes« vor, um der konstruierten<br />

Bipolarität zwischen Herrschenden und Beherrschten zu entkommen. »Den<br />

Herrschenden stehen zwar Beherrschte gegenüber – Herrschende konstituieren<br />

sich in der Definition und Verfügbarkeit über Beherrschte. Dennoch mögen sich<br />

<strong>die</strong> Herrschenden ihrerseits in Abhängigkeiten finden. Und auch <strong>die</strong> Beherrschten<br />

sind mehr als passive Adressaten der Regungen der Herrschenden. Vor allem zeigen<br />

sich Ungleichheiten und Widersprüche auch zwischen Herrschenden, ebenso<br />

wie zwischen Beherrschten« (Lüdtke 1991:13). Herrschaft kennzeichnet sich also<br />

durch Mehrdeutigkeit: Jemand ist in einem bestimmten Kontext ein Herrschender,<br />

gehört in einem anderen Kontext aber zu den Beherrschten. Das »Kräftefeld«, so<br />

Alf Lüdtke, »ermöglicht und begrenzt zugleich das Handeln derjenigen, <strong>die</strong><br />

Herrschaft reklamieren oder praktizieren; es reguliert aber auch das Handeln derer,<br />

<strong>die</strong> sich als Beherrschte behandelt sehen (und womöglich <strong>die</strong>ser Zuschreibung<br />

zustimmen). Das Kräftefeld meint jene Ressourcen, <strong>die</strong> Akteure, d.h. einzelne,<br />

Kleingruppen und gesellschaftliche Klassen nutzen oder vergeben« (Lüdtke<br />

1991:18). Gerade für <strong>die</strong> Untersuchung der Verfolgungspraxis von Sodomie<br />

erweist sich der Ansatz, Herrschaft als soziale Praxis zu verstehen, als sinnvoll.<br />

Denn Verfolgung soll nicht als einseitiger, von »oben« implementierter Prozess der<br />

Verhinderung sexueller Freiheit(en) verstanden werden. Es geht mir nicht um eine<br />

Geschichte der Repression 26 oder <strong>die</strong> Suche nach (unterdrückten) Identitäten oder<br />

Randgruppen (Hergemöller 1998a u. 1998b), 27 sondern um den Blick auf <strong>die</strong><br />

Konstruktion sexueller Devianz im frühneuzeitlichen Strafrecht sowie deren<br />

Instrumentalisierung in konkreten Gerichtsprozessen.<br />

Auch wenn in frühneuzeitlichen Strafrechtsordnungen <strong>die</strong> Sündhaftigkeit der<br />

Sodomie betont wird, so werden deviante sexuelle Praktiken zugleich als »Verbrechen«<br />

im säkularen Sinne definiert. Dennoch möchte ich in meiner Analyse<br />

nicht von »Verbrechen« und »Kriminalität« sprechen, denn <strong>die</strong>se Begriffe suggerieren<br />

<strong>die</strong> Existenz eines geschlossenen, allgemeingültigen Strafrechts, von dem in<br />

der Frühen Neuzeit nicht <strong>die</strong> Rede sein kann. Landgerichtsordnungen waren bis ins<br />

späte 18. Jahrhundert nur regional gültig und wurden durch eine Reihe weiterer<br />

Normen ergänzt, erläutert und modifiziert (Scheutz 2001:44). Die Verwendung der<br />

Begriffe »abweichendes Verhalten« und »Devianz« macht hingegen verschiedene,<br />

eventuell <strong>wider</strong>sprüchliche normative Referenzsysteme denkbar (Schwerhoff<br />

1995:83-115). 28 Es ist der Prozess der Kriminalisierung bestimmter sexueller<br />

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