Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
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Wötzenbacher gestand sexuelle Beziehungen mit fünf verschiedenen Männern.<br />
Gemeinsam ist den vom Inquisiten erwähnten Männern eine soziale und altersmäßige<br />
Unterlegenheit gegenüber dem verheirateten Bauern bzw. Wirt: Ein junger<br />
Bauernsohn, ein Knecht, ein lediger Mann, ein weiterer Knecht, der seinen Dienstgeber<br />
offensichtlich verlassen hatte und ein Kellner werden erwähnt. Interessant ist<br />
Vincenz Wötzenbachers Erklärung, dass er sich »wegen überhäufften Saamen« zu<br />
gleichgeschlechtlichen Praktiken genötigt sah, um der Gefahr des Ehebruchs zu<br />
entgehen (»damit er mit andern Weibsbildern [...] nicht zuehalten derffe«). Bei den<br />
erwähnten sexuellen Praktiken dürfte es sich eher um (mutuelle) Masturbation als<br />
um anale Penetration gehandelt haben (»mit denen Jungen Mannsbildern [...] sich<br />
einige mahlen an vordern Leib versündiget, und seinen Saaamen verschüttet«). Der<br />
entschuldigend vorgebrachte Topos, »aus teufflischer Begierd« gehandelt zu<br />
haben, ist aus anderen Sodomieprozessen bekannt und lässt auf eine in den Mund<br />
gelegte Antwort schließen. Die schriftlich festgehaltene Einschätzung, dass der<br />
»Inq[uisi]t nicht geglaubt [habe], das es vor eine sünd aufgerechnet wurde«, entspricht<br />
dagegen einer häufig angewandten Verteidigungsstrategie bei sexuellen<br />
Delikten: dem Vorgeben, über <strong>die</strong> Sündhaftigkeit bzw. Strafwürdigkeit einer bestimmten<br />
Handlung nicht Bescheid gewusst zu haben (vgl. <strong>Hehenberger</strong> 1999a:93-<br />
97). Es ist allerdings weniger auf <strong>die</strong> Rechtfertigungsargumente des Inquisiten als<br />
auf <strong>die</strong> Nicht-Nachweisbarkeit der von ihm angegebenen sexuellen Praktiken<br />
zurückzuführen, dass <strong>die</strong> Sodomieanklage mit großer Wahrscheinlichkeit fallengelassen<br />
wurde. In einem Notandum zur summarischen Aussage wird festgehalten,<br />
dass der Beweis eines »solchen lasters« schwer zu erbringen und das Urteil daher<br />
hauptsächlich wegen der Annahme gestohlener Waren zu fällen sei. 203 Ob und zu<br />
welcher Strafe Vincenz Wötzenbacher verurteilt wurde, geht aus den von mir eingesehenen<br />
Gaminger Akten leider nicht hervor.<br />
3.3.2. Eine Hinrichtung in Wien 1672<br />
»Der 20-jährige Sodomit, der im März 1672 in Wien dem Scheiterhaufen überantwortet<br />
wird, scheint eine Sonderbehandlung erfahren zu haben; man hat ihn<br />
offenbar langsam sterben lassen; denn es wird berichtet, daß man ›ihn über eine<br />
halbe stunde jämmerlich im Feuer (habe) schreyen gehöret‹» (Petrat 1998:51).<br />
Gerhardt Petrats Schilderung bezieht sich auf einen Bericht aus der sogenannten<br />
Kern-Chronik, einer Sammlung von »merckwürdigsten Welt- und Wundergeschichten«<br />
aus dem 17. und 18. Jahrhundert. 204 Ungebrochen übernimmt er <strong>die</strong><br />
Darstellung der sensationslüsternen Chronik und mutmaßt, dass der junge Mann<br />
wahrscheinlich wegen »Homosexualität« so qualvoll habe sterben müssen, weil<br />
kein Tier angeführt sei, dass man gemeinsam mit ihm verbrannt habe. Seine<br />
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