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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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den <strong>die</strong> Tiere vom Landgericht vermutlich deshalb nicht gesucht, weil <strong>die</strong> gestandenen<br />

sodomitischen Praktiken Jahre und Jahrzehnte zurücklagen, eine entsprechende<br />

Recherche wahrscheinlich vergebens gewesen wäre. Im Falle von Hans<br />

Schembperger wissen wir nicht einmal, auf welche Tiere und auf welchen Zeitraum<br />

sich <strong>die</strong> Sodomiebeschuldigungen beziehen. Gemeinsam mit Abraham Pichler<br />

wurde eine Kuh verbrannt. Da keine Schreiben vorliegen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> gerichtliche Suche<br />

nach einer anderen Kuh dokumentieren, ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um<br />

seine eigene Kuh handelte. Die vielen anderen Tiere, <strong>die</strong> in der Urgicht angeführt<br />

werden, blieben im Zusammenhang des Strafvollzugs unerwähnt. Hans Schembperger<br />

war dem Inhalt seines Todesurteils zufolge ein notorischer Dieb. Dasselbe<br />

galt für Wolf Haager, dem aber nicht nur unzählige Pferde<strong>die</strong>bstähle, sondern auch<br />

Fornikation und Bigamie zur Last gelegt wurden. Abraham Pichler hatte sich laut<br />

den Akten des versuchten Selbstmordes, des Inzests, eines versuchten Paktes mit<br />

dem Teufel und mehrerer Diebstähle schuldig gemacht. Die Anklagepunkte beinhalteten<br />

sozialen Zündstoff: Menschen, <strong>die</strong> in einer von knappen Ressourcen geprägten<br />

Gesellschaft stahlen und grundlegende Spielregeln des Zusammenlebens zu<br />

offenkundig missachteten, mussten mit Sanktionen rechnen.<br />

Die 24 Jahre der intensiven Verfolgung sind von personeller Kontinuität an der<br />

landgerichtlichen Spitze geprägt. Der Landgerichtsherr Friedrich von Polheim und<br />

sein Landgerichtsverwalter Wolf Nidermaier waren in alle sechs Prozesse involviert,<br />

der Landgerichtsverwalter sicherlich in direkterer Weise als der Landgerichtsherr,<br />

dessen Versuche in <strong>die</strong> malefizische Rechtssprechung einzugreifen im untersuchten<br />

Zeitraum zunahmen. Abraham Pichler begnadigte er zu einem weniger<br />

qualvollen Tod. Friedrich von Polheim griff damit eigenmächtig in den Strafvollzug<br />

ein, ohne jedoch an der Todesstrafe selbst zu rütteln. Im Falle Georg Wegleuthners<br />

versuchte er vergebens eine drohendes Todesurteil abzuwenden. Der Schuss ging<br />

nach hinten los: um das Land vor alttestamentarische Katastrophenszenarien zu<br />

bewahren, plä<strong>die</strong>rte der zugezogene Jurist Abraham Schwarz für ein Todesurteil.<br />

Die Interessen und Motive der gerichtlichen Verfolgung lassen sich bestenfalls<br />

erahnen. Das Unbehagen des Gerichtsherrn und des Gerichtsverwalters gegenüber<br />

der strengen Ahndung von Sodomie wuchs im Untersuchungszeitraum spürbar an.<br />

Doch entstand <strong>die</strong>ses Unbehagen vermutlich eher aus ökonomischen Interessen<br />

denn aus Humanität. Betrachten wir <strong>die</strong> Reihe der Sodomieprozesse in Wartenburg,<br />

so fällt auf, dass nur Georg Wegleuthner auf frischer Tat ertappt worden war.<br />

Er war außerdem der einzige, der sich ausschließlich wegen Sodomie gerichtlich<br />

verantworten musste. Bei den anderen Prozessen waren <strong>die</strong> Sodomievorwürfe <strong>die</strong><br />

Spitze der zur Last gelegten Straftaten und letztlich »todsichere« Argumente zur<br />

legalen und als legitim empfundenen physischen Beseitigung der unliebsamen<br />

Mitmenschen bzw. Untertanen. So gesehen war auch das Todesurteil gegen Georg<br />

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