02.11.2013 Aufrufe

Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

»in jennen Orthschaften, welche an deren Juden Heymat angränzen, derley Gesäz, und<br />

<strong>Natur</strong> wiedrige Ferkelthatten zu werden anfangen, und gründliche gefahr subversirend<br />

ist, d[a]s zu lezt <strong>die</strong> unschuldigsten, und ehrlichsten Christinen von denen gäillen<br />

Anfällen <strong>die</strong>ser Hebraeischen böcken auf denen Nebenstrassen, auf welchen nämlich <strong>die</strong>ses<br />

Jüdische Gesindl meistentheills herumschleichet, nicht mehr sicher seyn därften«.<br />

Die Dichotomisierung ist in <strong>die</strong>sem Beispiel auf <strong>die</strong> Spitze getrieben: »geile, viehische<br />

und hinterhältige Juden« werden mit »ehrbaren und unschuldigen<br />

Christinnen« kontrastiert, <strong>die</strong> Kriminalisierung wird außerdem mit einem<br />

Geschlechterstereotyp verknüpft. Juden werden hier pauschal als gefährliche, auflauernde,<br />

entmenschlichte und sexuell-aggressive Kreaturen bezeichnet, <strong>die</strong> es aus<br />

obrigkeitlicher Perspektive im Zaum zu halten gilt – ein verbreitetes antijüdisches<br />

Stereotyp. 72<br />

Unter sozialer Devianz soll im Folgenden <strong>die</strong> Summe negativ bewerteter<br />

Abweichungen von der »gesellschaftlichen Norm« verstanden werden, <strong>die</strong> Isaak<br />

Löbl und Magdalena Gallin mehr oder weniger explizit vorgeworfen wurde. Dazu<br />

gehörte etwa der Umstand, dass <strong>die</strong> beiden als ungleiches Paar wahrgenommen<br />

wurden: ein jüdischer verheirateter Mann, dessen mobile Handelstätigkeit im<br />

Verdacht halblegaler bis verbotener Aktivitäten stand, in Begleitung einer deutlich<br />

jüngeren katholischen unverheirateten Frau. Die Geschlechtszugehörigkeit spielte<br />

im Zusammenhang mit sexuellen Delikten insofern eine wichtige Rolle als<br />

Differenz erzeugendes Kriterium, als soziale Verhaltenserwartungen und strafrechtliche<br />

Normen Männern und Frauen (in Korrelation mit ihrer Standeszugehörigkeit,<br />

ihrem Alter und ihrem Leumund) unterschiedliche Handlungsspielräume<br />

eröffneten, beispielsweise den Ehebruch einer verheirateten Frau mit<br />

einem unverheirateten Mann als schwerwiegendere Tat bewerteten als den Ehebruch<br />

eines verheirateten Mannes mit einer unverheirateten Frau.<br />

Frühneuzeitliche Gerichtsquellen sind wie erwähnt keine wortgetreuen Mitschriften<br />

von Verhören. Es sind vielmehr Texte, <strong>die</strong> Geschichten aus der Perspektive<br />

der rechtsprechenden Instanzen erzählen. Oberflächlich betrachtet erzählen<br />

uns <strong>die</strong>se Texte <strong>die</strong> Geschichten von verschiedenen Straftaten. Bei naiver Lektüre<br />

erscheint es oft so, als würden <strong>die</strong> Beschuldigten freimütig und reuevoll von ihren<br />

Verbrechen berichten. Berücksichtigen wir allerdings <strong>die</strong> institutionellen Zwänge,<br />

unter denen Gerichtsprotokolle entstanden, so lässt sich der Zusammenhang zwischen<br />

sprachlichen Strategien vor Gericht und Machtausübung nachvollziehen. Im<br />

Gegensatz zu heutigen Gerichtsverfahren gab es in Strafprozessen im frühneuzeitlichen<br />

Österreich keine personale Trennung der Funktionen in AnklägerIn, VerteidigerIn<br />

und RichterIn. Das Gericht, in der Regel der Bannrichter und seine<br />

Beisitzer, verkörperte(n) idealiter alle drei Positionen gemeinsam. Faktisch kam<br />

86

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!