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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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Maß an Glaubwürdigkeit zugesprochen wurde, spiegelt ein Urteil das variable<br />

herrschaftliche Sanktionsinteresse, das immer vom spezifischen Kontext eines<br />

Verfahrens abhängt. Drittens handelt es sich beim Sprechen vor Gericht um eine<br />

Frage-Antwort-Interaktion. Struktur und Richtung des »Gesprächs« werden durch<br />

den Richter (bzw. <strong>die</strong> Verhörenden) bestimmt. Nur ganz selten gelang es InquisitInnen<br />

<strong>die</strong>se Struktur für zumindest kurze Zeit umzudrehen. In frühneuzeitliche<br />

Gerichtsprotokolle flossen aber auch nonverbale Äußerungen mit ein, wenn etwa<br />

in einem Notandum vermerkt wurde, dass der Inquisit beständig schweige und<br />

zuweilen huste. 281 Viertens orientiert sich der Richter bei der Urteilsfällung nicht<br />

allein an den vorgegebenen Normen, sondern auch an berufseigenen Alltagstheorien.<br />

Dies trifft auch für <strong>die</strong> Frühe Neuzeit zu, wenn unter »berufseigenen<br />

Alltagstheorien« <strong>die</strong> Orientierung an sozialen Erwartungshaltungen und Stereotypen,<br />

<strong>die</strong> sich mit bestimmten gesellschaftlichen Gruppen verbanden, verstanden<br />

wird. Wenn ein Rechtsgutachter, dessen Aufgabe es war, dem Gericht einen<br />

Urteilsvorschlag zu unterbreiten, etwa <strong>die</strong> Ansicht vertrat, dass von herumziehenden<br />

Juden generell sexuelle Gefahr für ehrbare Christinnen ausgehe oder er vagabun<strong>die</strong>rende<br />

Frauen im Allgemeinen für unmoralisch hielt, so flossen <strong>die</strong>se<br />

»Vorurteile« auch ins Urteil ein. Fünftens ist <strong>die</strong> sprachliche Darstellung des<br />

Sachverhalts seitens des Angeklagten für <strong>die</strong> richterliche Beurteilung der<br />

Gesamtperson mitentscheidend (Leodolter 1975:211f). Für frühneuzeitliche<br />

Strafprozesse ist eine linguistische Analyse im engeren Sinn allerdings nicht möglich.<br />

Durch den Filter der Verschriftlichung ist der tatsächlich verwendete Sprachmodus<br />

der InquisitInnen im besten Falle ansatzweise erkennbar. Nur manchmal,<br />

bei besonders ausführlichen Protokollen, dringt der Duktus einer Narration durch<br />

den Filter ihrer Verschriftlichung. Häufiger findet sich jedoch eine formalisierte<br />

Protokollierung, <strong>die</strong> den Sprachmodus der Verhörten fast vollständig verdeckt (vgl.<br />

Gleixner 1994:19-27).<br />

Auf der inhaltlichen Ebene sind entschuldigende bzw. relativierende Aussagen<br />

von zentraler Bedeutung, verweisen <strong>die</strong>se zielgerichteten Sprechakte doch auf ein<br />

verbreitetes Unrechtsbewusstsein bezüglich sodomitischer Praktiken. Wenn Georg<br />

Dörffl vorgibt, dass er sich nur wegen der angenehmen, von der Kuh ausgehenden<br />

Wärme und zur Bekämpfung seiner Schmerzen im Stall aufgehalten habe, oder<br />

wenn Georg Doppelhammer den von seiner Frau im Streit artikulierten Sodomieverdacht<br />

als bloßes Missverständnis abzutun versucht, sind <strong>die</strong>se Aussagen auch<br />

als Versuche zu lesen, den Aufenthalt im Kuhstall in einen unverdächtigen<br />

Sinnzusammenhang zu bringen. Die Versuche gingen weder im einen noch im<br />

anderen Fall auf. Gegen Georg Doppelhammers Version sprach <strong>die</strong> Aussage seiner<br />

Frau, dass sie ihn zwar direkt hinter der Kuh, aber noch nichts »Unrechtes« tun<br />

gesehen habe. Georg Dörffls quasi-medizinischer Rechtfertigung wurde aufgrund<br />

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