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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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dass »<strong>die</strong> schwein und d[a]s Schaaf bereits vor etlich Jahren geschlachtet worden<br />

seynd«. 195 Eine »Weishöpkte Kuhe«, <strong>die</strong> Gottlieb Weinegger angeblich sodomisiert<br />

hatte, konnte deshalb nicht ausfindig gemacht werden, weil der ehemalige Besitzer<br />

bereits verstorben und der Verbleib der Kuh unbekannt war. 196 Ein weiteres Notandum<br />

berichtete, dass Weinegger selbst eine Kuh mit einem weißen »Strich« am<br />

Rücken besaß, doch konnte nicht festgestellt werden, »das Inq[uisi]t bey gedachter<br />

Kuhe alleinig, und verdächtig gesehen worden« wäre. 197<br />

Die Prozessmitschriften wurden vermutlich in Reinschrift übertragen und an<br />

einen Rechtsgutachter gesandt. Zwar ist kein rechtliches Gutachten überliefert,<br />

doch spricht <strong>die</strong> zeitliche Kluft zwischen den Mitte November 1722 datierten<br />

Aussagen und dem Mitte Jänner 1723 abgefassten Bericht des Hofrichters dafür,<br />

dass ein Parere eingeholt worden war. Ein Indiz für ein nicht mehr erhaltenes<br />

Gutachten ist auch, dass der Bericht juristisch informiert ist und bereits einen<br />

Urteilsvorschlag enthält. Der Bericht an <strong>die</strong> Niederösterreichische Regierung weist<br />

dem Problem des fehlenden Corpus delicti zentrale Bedeutung zu. Zwar habe der<br />

Inquisit verschiedene sexuelle Straftaten gestanden, doch reiche weder sein<br />

Geständnis noch <strong>die</strong> von seiner Schwester angegebene Beobachtung, dass er als<br />

Jugendlicher mit entblößtem Unterleib hinter einem Schwein gestanden sei, als<br />

Verurteilungsgrundlage aus. Was <strong>die</strong> Anklagepunkte der Fornikation und der<br />

Diebstähle betreffe, so seien <strong>die</strong>se im Verhältnis zu den Delikten der Sodomie, des<br />

versuchten Selbstmordes und des Inzests für das Gericht bloß »Kleinigkeiten«, <strong>die</strong><br />

»von des Inq[uisite]n Vermögen bonificiert werden« könnten. Auch <strong>die</strong> Inzestanschuldigung<br />

wurde reduziert, nachdem eine Hebamme Eva Paumanin untersucht<br />

hatte und »von einiger corruption nit das geringste wahr genohmen« habe, weshalb<br />

»dises factum für keine Bluetschand angesehen, wohl aber solch=abscheüliches<br />

attentatum zur Verschärffung des Urtls gezogen« werde. 198 Das Landgericht schlug<br />

paradoxerweise vor, dass Gottlieb Weinegger aufgrund seiner schwachen<br />

Konstitution vier Jahre »zur Ruederpanckh auf <strong>die</strong> Gallern verschaffet, und nach<br />

hinterlassen abgeschwohren urphed des Lands ÖesterReich mit einwilligung einer<br />

hochen landesfürstl: Regierung auf ewig verwisen werden solle«. 199 Die Regierung<br />

verschärfte das Urteil »auf Sechs=<strong>Natur</strong>al jahr«, was nahezu einem Todesurteil<br />

gleich kam. 200<br />

3.3. Gleichgeschlechtliche Praktiken vor Gericht<br />

Gleichgeschlechtliche Praktiken wurden in der Frühen Neuzeit als bedrohliche<br />

Verwirrung der »natürlichen« gottgewollten Geschlechterordnung aufgefasst. Wie<br />

ich im Kapitel zur normativen Konzeption von Sodomie gezeigt habe, waren für<br />

156

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