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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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<strong>die</strong> Personalunion einer fehlenden Verteidigung gleich. Diese in einem<br />

Inquisitionsprozess strukturell angelegte Asymmetrie zwischen Beschuldigten und<br />

Gericht spiegelt sich unter anderem im Sprachverhalten. Zur Analyse von sprachlichen<br />

Strategien werde ich mich im Folgenden methodisch an einer Stu<strong>die</strong> orientieren,<br />

<strong>die</strong> sich mit den Kommunikations- und Herrschaftsverhältnissen eines<br />

Familiengerichts in Zanzibar im späten 20. Jahrhundert beschäftigt (Hanak 1994).<br />

Zwar liegen Zeit und Raum <strong>die</strong>ser und meiner Analyse weit auseinander, doch geht<br />

es methodisch betrachtet um ein ähnliches Anliegen: den analytischen Blick auf<br />

Handlungsstrategien vor Gericht in einer fremden Gesellschaft. Irmi Hanak kann<br />

in ihrer Stu<strong>die</strong> zeigen, dass Kontrolle zum Beispiel durch ein Bestehen auf dem<br />

Rollenverhalten, also etwa der strikten Befolgung des Frage-Antwort-Schemas<br />

ausgeübt wird. Andere sprachliche Mittel zur Kontrolle sind abrupte Themenwechsel,<br />

das Stellen von offenen oder disjunktiven Fragen, <strong>die</strong> Konfrontation mit<br />

bereits bekannten Details und das Betonen von Widersprüchen. Angeklagte sind<br />

dem Gericht aber gleichzeitig nicht völlig machtlos ausgeliefert. Verbale<br />

Möglichkeiten des Widerstands ergeben sich durch das Stellen von Gegenfragen,<br />

<strong>die</strong> Infragestellung einer der Vorbedingungen des Verfahrens, durch Unterbrechen,<br />

kleine Korrekturen von vorgegebenen Versionen und den Einsatz narrativer<br />

Strukturen, um entlastende Argumente wie den »guten Charakter« des bzw. der<br />

Angeklagten oder Entschuldigungen in eine konsistente Geschichte zu verpacken<br />

(Hanak 1994:114-118). In frühneuzeitlichen Verhörprotokollen fällt zudem auf,<br />

dass im vermeintlichen Dialog zwischen Gericht und Beschuldigten <strong>die</strong> Verhöre<br />

nicht nur meist in indirekter Rede wiedergegeben sind, sondern auch <strong>die</strong> soziale<br />

Differenz in der Anrede sticht hervor: <strong>die</strong> InquisitInnen werden geduzt, während<br />

<strong>die</strong> Verhörenden zu siezen sind. Ob sich der Inquisit und <strong>die</strong> Inquisitin geduzt<br />

haben, lässt sich nicht klar feststellen. In der gerichtlichen Confrontation mit Isaak<br />

Löbl wechselt Magdalena Gallin <strong>die</strong> Anrede: sie duzt und siezt ihn, spricht auch<br />

oft in der dritten Person über ihn.<br />

Trotz des vorhandenen Machtgefälles und des Filters der Verschriftlichung lassen<br />

sich in den Akten zum landgerichtlichen Verfahren gegen Isaak Löbl und<br />

Magdalena Gallin unterschiedliche Sichtweisen finden. Drei davon sollen näher<br />

betrachtet werden. In einem ersten Schritt möchte ich <strong>die</strong> Darstellungen der<br />

Angeklagten in den Blick nehmen, denn aus den Verhörprotokollen lassen sich<br />

nicht bloß <strong>die</strong> von Isaak Löbl und Magdalena Gallin erzählten Geschichten, sondern<br />

auch <strong>die</strong> von ihnen eingesetzten Widerstandsstrategien herausarbeiten. Als<br />

zweiten Schritt möchte ich <strong>die</strong> Wahrnehmung und Einschätzung der beiden<br />

InquisitInnen aus den Aussagen der vorgeladenen ZeugInnen herausarbeiten. Es<br />

waren ganz unterschiedliche Menschen, <strong>die</strong> als ZeugInnen von gerichtlicher Seite<br />

befragt wurden. Gemeinsam war ihnen lediglich, dass sie Isaak Löbl oder<br />

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