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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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2. SODOMIE IM STRAFRECHT<br />

Das theologische Konstrukt der Sodomie fand sich in der Frühen Neuzeit in<br />

strafrechtlichen Bestimmungen wieder. Anhand der unter- und obderennsischen<br />

Landgerichtsordnungen soll im Folgenden geklärt werden: Welche Praktiken wurden<br />

als »<strong>Unkeusch</strong>heiten <strong>wider</strong> <strong>die</strong> <strong>Natur</strong>« konzeptualisiert? Wie sind <strong>die</strong>se nachzuweisen,<br />

zu verfolgen und zu bestrafen? Was verändert sich im Laufe der Zeit?<br />

In <strong>die</strong> Analyse miteinbezogen werden auch verstreute Einzelbestimmungen zu<br />

den Sodomie-Artikeln sowie erläuternde juristische Handbücher. Bei letzteren konzentriere<br />

ich mich auf jene, <strong>die</strong> sich explizit auf das Untersuchungsgebiet Österreich<br />

ob und unter der Enns beziehen und/oder in den untersuchten Quellen zitiert werden.<br />

Die Veränderungen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> normative Konzeption des Delikts Sodomie vom<br />

frühen 16. bis zum späten 18. Jahrhundert in den Strafgesetzen Österreichs ob und<br />

unter der Enns erfuhr, entstanden, so meine These, nicht nur durch den verstärkten<br />

Willen der LandesfürstInnen das Strafrecht zu zentralisieren, sondern vor allem<br />

durch den stärkeren Einfluss der juristischen Literatur. Die häufig an Fallbeispielen<br />

aus der praktischen Tätigkeit ausgeführten Darlegungen der Verfasser juristischer<br />

Kommentare und Handbücher flossen in <strong>die</strong> normativen Bestimmungen mit ein.<br />

James A. Brundage hat gezeigt, dass kirchliche Gerichte seit dem späten 13.<br />

Jahrhundert einem gut organisierten europäischen Netzwerk angehörten, dessen<br />

Zentrum in Rom lag. Die Grundlage ihrer Rechtssprechung war das kanonische<br />

Recht, gebündelt in Gratians Concordia discordantium canonum von 1140, kurz<br />

Decretum genannt (Brundage 1996:33-50; ders. 1995:47f). Ehelicher Sex, der sich<br />

an <strong>die</strong> kanonischen Spielregeln hielt, wurde im Decretum positiv bewertet. Im<br />

Gegensatz dazu standen vor- bzw. außereheliche, lustbetonte, nicht-generative<br />

sexuelle Beziehungen und Praktiken. Das Decretum nahm eine Abstufung sexueller<br />

Sünden vor: Die Spitze des Verwerflichen bildeten »<strong>wider</strong>natürliche Handlungen«,<br />

wozu gleichgeschlechtliche Praktiken, Bestialität, oraler und analer Sex<br />

gerechnet wurden, gefolgt von Inzest, Ehebruch und Fornikation (vgl. Hull<br />

1996:13). Masturbation galt zwar auch als <strong>wider</strong>natürliche Praktik, im Vergleich<br />

zu anderen peccata contra naturam war sie aber nach Auffassung Gratians und<br />

anderer Kirchenlehrer nur eine kleine Sünde – peccadillo (Brundage 1996:41). Die<br />

Verfolgung von sexueller Devianz bzw. von Verstößen gegen das Sakrament der<br />

Ehe gehörten nach kanonischem Recht in den Kompetenzbereich kirchlicher<br />

Gerichte. Seit dem Hochmittelalter ten<strong>die</strong>rten <strong>die</strong>se jedoch dazu, weltliche Strafen<br />

statt Kirchenbußen zu verhängen, für deren Vollzug sie gemäß der Zwei-<br />

Schwerter-Lehre den weltlichen Arm brauchten und heranzogen (Grote 2000:114-<br />

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