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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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inhabern zu viel Freiraum (und damit Macht) zuzugestehen. Zur Kontrolle der<br />

landgerichtlichen Verfahren gegen Delikte, <strong>die</strong> als crimina excepta bezeichnet<br />

wurden, wozu auch Sodomie zählte, mussten <strong>die</strong> Prozessakten zur Urteilsbestätigung<br />

bzw. -abänderung in Österreich unter der Enns an <strong>die</strong> Niederösterreichische<br />

Regierung in Wien, in Österreich ob der Enns an <strong>die</strong> Landeshauptmannschaft<br />

in Linz geschickt werden. In Österreich ob der Enns war zwar <strong>die</strong><br />

Landeshauptmannschaft <strong>die</strong> gerichtliche Oberbehörde in Kriminalangelegenheiten,<br />

doch blieb der Niederösterreichischen Regierung bei crimina excepta theoretisch<br />

<strong>die</strong> letzte Entscheidung vorbehalten (Kwiatkowski 1903:79-91).<br />

Begnadigungsgesuche gingen theoretisch direkt an den Landesfürsten/<strong>die</strong> Landesfürstin,<br />

wurden aber bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts praktisch von einer<br />

Zentralbehörde (»Per Imperatorem«) bearbeitet und an <strong>die</strong> Niederösterreichische<br />

Regierung zur Begutachtung weitergeleitet, <strong>die</strong> wiederum Stellungnahmen der<br />

Landgerichte einforderte (vgl. Griesebner 2000b:15). 35<br />

Die von den Landgerichten bestellten Rechtsgutacher aus Linz und Wien beriefen<br />

sich in ihrer gelehrten Argumentation für oder <strong>wider</strong> einen Sodomiten jedoch<br />

nicht einzig auf <strong>die</strong> jeweils gültige Strafrechtsordnung, sondern sie benutzten auch<br />

eifrig juristische Handbücher, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Strafgesetze auslegten.<br />

Sowohl in der Ferdinandea und Leopoldina als auch in der Carolina werden<br />

explizit gleichgeschlechtliche Praktiken zwischen Männern oder Frauen als auch<br />

sexuelle Beziehungen zwischen Mensch und Tier mit der Todesstrafe bedroht.<br />

Weitere sodomitische Praktiken werden in den Gesetzestexten nicht angeführt.<br />

Werfen wir einen Blick in <strong>die</strong> Praxis rerum criminalium des flämischen Rechtsgelehrten<br />

Jost Damhouder (1507-1581), eines juristischen Handbuches aus der<br />

Mitte des 16. Jahrhunderts, das auch von ober- und niederösterreichischen Rechtsgelehrten<br />

zur Stützung ihrer gutachterlichen Argumente herangezogen wurde, so<br />

erweitert sich der Sodomiebegriff. In Damhouders Handbuch steht zu Beginn des<br />

96. Kapitels: »Sodomitische Vnkeuschheit ist dreyerlei, vnd wird eines Theils mit<br />

Verbannung, oder in andere dergleichen gutbedünckliche wege, vnd eines Theils<br />

gewönlich mit dem feuwer gestrafft« (Damhouder 1581:160). Die drei Arten der<br />

Sodomie, übrigens ein Begriff, der in der Carolina noch nicht vorkommt, unterscheidet<br />

Damhouder am Sexualobjekt. Sodomie könne an sich selbst, mit anderen<br />

Menschen oder mit »unvernünftigen« Tieren begangen werden. Das schließt mehr<br />

Praktiken ein, als explizit in der Carolina genannt werden. In Damhouders Ausführungen<br />

zur Bestrafung der »<strong>wider</strong>natürlicher <strong>Unkeusch</strong>heiten« zeigt sich eine wertende<br />

Abstufung zwischen den verschiedenen Ausprägungen der Sodomie:<br />

»Die erste weise [Masturbation] wirdt vom Apostel Paulo Mollicies genant, vnd dermassen<br />

verdampt, daß er alle <strong>die</strong> jenige, so darmit behafft, vom Reich Gottes gäntzlich auß-<br />

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