Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur
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historische Untersuchung »sexueller Abartigkeit«, wie Gisela Bleibtreu-Ehrenberg<br />
ihre 1970 publizierte Diskursgeschichte zu gleichgeschlechtlichen Praktiken noch<br />
betitelte (Bleibtreu-Ehrenberg 1970), nach wie vor einem gewissen Grad an Tabuisierung<br />
unterliegt; <strong>die</strong>s trotz der »sexuellen Revolution« der späten 1960er Jahre<br />
und der mit ihr verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen. So hatte etwa erst<br />
<strong>die</strong> Liberalisierung und Öffnung der Hochschulen (historische) Forschungen ermöglicht,<br />
<strong>die</strong> zuvor undenkbar gewesen wären (Ebner/Vocelka 1998:20-25;59-<br />
74;160-194). Sexuelle Praktiken jenseits der von der schwulen und lesbischen<br />
Emanzipationsbewegung initiierten geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen<br />
zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen scheinen aber bis heute auf geringes Interesse<br />
der HistorikerInnenzunft zu stoßen. Dies erstaunt insofern etwas, als <strong>die</strong><br />
(natur)wissenschaftliche Beschäftigung mit »kriminellen« Verhaltensweisen<br />
(Lorenz 1999; Filser 1983:56-104) – und damit auch mit sexuellen Praktiken und<br />
Gewohnheiten – bis ins 18. und 19. Jahrhundert zurückreicht (Hekma 1989:173-<br />
193).<br />
Schauen wir über den disziplinären Tellerrand, so werden historische Argumentationen<br />
in sozial-, human- und sogar naturwissenschaftlichen Stu<strong>die</strong>n zu<br />
»abweichender« Sexualität sichtbar. Diese – abgesehen von den historischen<br />
Exkursen – im Wesentlichen auf das 20. (bzw. späte 19.) Jahrhundert konzentrierten<br />
Arbeiten setzen sich aus sexologischer, soziologischer, biologischer, kunsthistorischer<br />
sowie juristischer Perspektive mit Sodomie auseinander und sind in ihren<br />
Intentionen äußerst heterogen. 3 Der um Gleichberechtigung für Homosexuelle<br />
kämpfende deutsche Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld widmet fast zwei<br />
Kapitel seines 1914 publizierten Werks über männliche und weibliche<br />
Homosexualität (Hirschfeld Neuauflage 2001:737-872) einem historischen<br />
Rückblick. Etwa 20 Jahre zuvor be<strong>die</strong>nte sich Hirschfelds Mitstreiter Richard<br />
Krafft-Ebing in einer »Denkschrift« über den (von ihm übrigens nur männlich<br />
gedachten) »Conträrsexualen« ebenfalls der historischen Argumentation, um für<br />
eine liberalere Gesetzgebung zu plä<strong>die</strong>ren (Krafft-Ebing ²1895:11-21). 4 Völlig<br />
anders, um nicht zu sagen »conträr« dazu, verhalten sich Inhalt und Zielsetzung<br />
der 1968 veröffentlichten kriminologischen Arbeit von Roland Graßberger. Seine<br />
Untersuchung steht im Zusammenhang mit der Diskussion um eine grundlegende<br />
Strafrechtsreform, <strong>die</strong> unter anderem sexuelle Handlungen mit Tieren entkriminalisieren<br />
sollte. Graßberger argumentiert nur implizit historisch, indem er<br />
Verurteilungen wegen Sodomie aus den Jahren 1923-1937 und aus den Jahren<br />
1951-1965 miteinander vergleicht und auf <strong>die</strong> Notwendigkeit der Aufrechterhaltung<br />
einer nicht näher definierten »christlich-sittlichen Ordnung« verweist. Er<br />
spricht sich vehement gegen <strong>die</strong> Abschaffung des Delikts »Unzucht mit Tieren«<br />
aus (Graßberger 1968). Wenig überraschend ist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang, dass<br />
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