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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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für eine Begnadigung bzw. Strafmilderung eingesetzt? Aufgrund der fragmentarischen<br />

Überlieferung können <strong>die</strong>se Fragen allerdings nicht für alle Prozesse vollständig<br />

beantwortet werden. So besteht, um ein Beispiel anzuführen, <strong>die</strong> Quellenlage<br />

zum Prozess gegen Stephan Pfenning (Wien 1699) einzig aus einer Rechnung.<br />

24 Aus ihr erfahren wir aber zumindest, dass Stephan Pfennig der Bestialität<br />

beschuldigt und – so wie <strong>die</strong> drei anderen »Wiener Sodomiten« – auf der sogenannten<br />

Gänseweide (heute: Weißgerberlände) verbrannt worden war, auch wenn<br />

weder er noch <strong>die</strong> anderen drei Verurteilten in Franz Englischs Auflistung der dort<br />

stattfindenden Hinrichtungen genannt werden (Englisch 1959:60-66). Ob <strong>die</strong> hier<br />

beschriebene Hinrichtung aber dem Urteil entspricht, oder ob der Delinquent zur<br />

vorherigen Enthauptung begnadigt wurde, können wir nur mutmaßen. Dies ließe<br />

sich nur dann nachvollziehen, wenn auf dem Urteil eine Notiz zur Vollstreckung<br />

oder auf der Rechnung ein Hinweis auf das Urteil bzw. <strong>die</strong> Abänderung des Urteils<br />

stünde. Es kann auch lediglich spekuliert werden, dass das mitverbrannte Pferd<br />

nicht im Sinne einer Hinrichtung gevierteilt, sondern zuvor vom Abdecker getötet<br />

und dann in vier Teile zerstückelt worden war. Bei anderen Gerichtsverfahren ist<br />

<strong>die</strong> Überlieferung etwas dichter. Im Prozess gegen Daniel Weissenstainer, der von<br />

Februar bis April 1639 in der obderennsischen Herrschaft Spital am Pyhrn abgehandelt<br />

wurde, sind neben der Rechnung auch zwei Verhörprotokolle und ein<br />

Urteil erhalten. An <strong>die</strong>sem Beispiel wird deutlich, dass Urteil und Vollstreckung<br />

nicht übereinstimmen müssen: Im Gegensatz zum Urteil, das <strong>die</strong> Verbrennung bei<br />

lebendigem Leibe vorsah, wurde der Delinquent laut Rechnung zuvor enthauptet.<br />

Die Divergenz zwischen Urteil und Vollstreckung ließe sich kaum nachweisen,<br />

wäre nur <strong>die</strong> Rechnung des Freimanns oder nur das Urteil überliefert. Die<br />

Quellenlage zum Prozess gegen Daniel Weissenstainer gibt in etwa auch einen<br />

Eindruck über <strong>die</strong> durchschnittliche Überlieferungssituation. Nur in Ausnahmefällen<br />

ist ein Sodomieprozess durch ein mehr als 200 Seiten dickes Aktenbündel<br />

(wie im Prozess gegen Isaak Löbl und Magdalena Gallin) oder durch einen mehr<br />

als 50 Seiten langen Eintrag in ein Protokollbuch dokumentiert (Prozess gegen<br />

Georg Dörffl). Ein einziges erhaltenes Schriftstück oder nur wenige Zeilen in<br />

einem Gerichtsbuch sind zwar nicht <strong>die</strong> Regel, aber jedenfalls häufiger als umfangreiche<br />

Funde. So liegt lediglich zu einem der vier Wiener Prozesse neben der<br />

Rechnung auch eine Eintragung im Hinrichtungsprotokollbuch vor.<br />

Schon bei den schematischen Zusammenfassungen erschien es mir wichtig,<br />

sprachliche Eigenheiten in der Verbalisierung bzw. Verschriftlichung des »Unaussprechlichen«<br />

festzuhalten. Anstatt meine Interpretation durch <strong>die</strong> Paraphrasierung<br />

des »Tatbestands« unkommentiert einfließen zu lassen, zitierte ich lieber – auch<br />

wenn es umständlich erscheinen mag – jene Stellen aus den Verhören oder Urteilen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Anschuldigungen wiedergeben – denn bei aller notwendigen<br />

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