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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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schiedliche Forschungsinteresse lässt vielmehr auf ein unterschiedliches gesellschaftliches<br />

Interesse schließen. Während Sodomie im heutigen Sinne – ist es ein<br />

Zufall, dass sich der Begriff auf Bestialität verengte? – gesellschaftlich vorrangig<br />

als peinliches, wenn nicht gar pathologisches Phänomen betrachtet wird, sind<br />

gleichgeschlechtliche Beziehungen durch jahrzehntelange schwule und lesbische<br />

Aufklärungsarbeit mittlerweile kein tabuisiertes Forschungsthema mehr. Zwar sind<br />

gleichgeschlechtliche Beziehungen im heutigen Österreich noch immer weit von<br />

breiter gesellschaftlicher Akzeptanz und Gleichberechtigung entfernt, doch hat <strong>die</strong><br />

Emanzipationsbewegung auch eine rege Forschungstätigkeit entfacht, <strong>die</strong> sich<br />

unter anderem auf <strong>die</strong> Suche nach »Homosexuellen« in der Vergangenheit begab.<br />

Dass <strong>die</strong> ForscherInnen dabei häufig von einem gegenwartsbezogenen Identitätskonzept<br />

ausgingen, welches unhinterfragt auf Menschen vergangener Zeiten<br />

übertragen wurde, ist spätestens seit Michel Foucaults wichtigem Werk »Sexualität<br />

und Wahrheit« bekannt. Mit dem Diktum »Der Sodomit war ein Gestrauchelter,<br />

der Homosexuelle ist eine Spezies« (Foucault 1977:58) brachte er <strong>die</strong> diskursive<br />

Differenz zwischen verbotener sexueller Handlung und pathologisierter sexueller<br />

Identität auf den Punkt. Im Unterschied zur kriminologisch-psychologischen<br />

Suche nach Motiven, <strong>die</strong> ab dem 19. Jahrhundert den »Verbrecher« und <strong>die</strong><br />

»Verbrecherin« (vgl. Lombroso 1878) sowie dessen bzw. deren Charakter in den<br />

Mittelpunkt strafrechtlicher Theorie und gerichtlicher Praxis stellten, war im frühneuzeitlichen<br />

Strafrecht <strong>die</strong> verbotene Handlung als solche entscheidend. Zwar<br />

wurden strafbare Praktiken in der Frühen Neuzeit nicht unabhängig von den persönlichen<br />

Eigenschaften bzw. Merkmalen der InquisitInnen bewertet – so wurden<br />

etwa Alter, Geschlecht, ethnisch-religiöse Zugehörigkeit, Zivilstand, sozio-ökonomischer<br />

Status, Leumund, Geisteszustand teilweise in <strong>die</strong> Beurteilung miteinbezogen,<br />

– doch gab es keine kausalen Schlüsse einzig vom »Charakter« bzw. der<br />

»Identität« des »Verbrechers« auf <strong>die</strong> Straftat. Der Prozess gegen Isaak Löbl und<br />

Magdalena Gallin deutet <strong>die</strong>sen neuen kriminologischen Zugang schon an: der stereotyp<br />

gezeichnete »Charakter« der beiden Angeklagten wird neben den ihnen<br />

zugeschriebenen Straftaten zur Urteilsgrundlage.<br />

Der normative Rahmen für <strong>die</strong> von mir untersuchten Sodomieprozesse konstituierte<br />

sich aus den unter- und obderennsischen Landgerichtsordnungen des 16. und<br />

17. Jahrhunderts, der länderübergreifend gültigen Theresiana von 1768 sowie den<br />

in der Gerichtspraxis häufig herangezogenen juristischen Handbüchern und<br />

Kommentaren von mehr oder weniger bekannten Rechtsgelehrten. In Rechtsgutachten<br />

und Urteilen wurde auch <strong>die</strong> Carolina von 1532 als Rechtsquelle zitiert.<br />

Zwei wesentliche Punkte mussten von den konsultierten Rechtsgelehrten hinsichtlich<br />

des Delikts der Sodomie geklärt werden: <strong>die</strong> Frage nach dem (in der Regel bei<br />

Sexualdelikten fehlenden) Corpus delicti und <strong>die</strong> Frage, ob mittels einer immissio<br />

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