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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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Gegenpol zu den angeblich sexuell ausschweifenden Ziegen wurden Elefanten als<br />

Tiere wahrgenommen, <strong>die</strong> frei von verwerflichem Verlangen seien. Sie galten als<br />

treu und ehrbar (Thomas 1984:38).<br />

Wie Rainer Walz und Paul Münch darlegen, war unter den Kirchenlehrern<br />

umstritten, ob <strong>die</strong> Tiere, so wie der Mensch, aus dem Nichts erschaffen worden<br />

waren, oder ob Wasser und Erde <strong>die</strong> substantielle Basis tierischen Lebens und<br />

somit auch der tierischen Seelen gebildet hatten. Einig waren sich dagegen <strong>die</strong><br />

meisten mittelalterlichen Theologen, dass Gott den Menschen nicht nur <strong>die</strong><br />

Herrschaft über <strong>die</strong> Erde, sondern auch über <strong>die</strong> Tiere verliehen hatte. In der<br />

Interpretation des heiligen Augustinus (354-430) zeichneten sich <strong>die</strong> Menschen<br />

nicht allein durch ihre Vernunft als höhere Wesen aus, sondern auch durch ihre<br />

Gottesebenbildlichkeit und ihre unsterbliche Seele. Tiere besäßen dagegen nur<br />

sterbliche Seelen und sollten den Menschen <strong>die</strong>nen und nützlich sein. Während es<br />

im frühen Christentum noch unterschiedliche Auffassungen darüber gab, ob <strong>die</strong><br />

menschliche Seele von den Eltern weitergegeben werde (Traduzianismus), ob sie<br />

bereits seit der Schöpfung existiere und von Gott in den Körper gepflanzt werde<br />

(Präexistenzianismus), oder ob sie von Gott jedesmal neu erschaffen werde<br />

(Kreatianismus), wurde spätestens mit Thomas von Aquin (1224-1274) <strong>die</strong> kreatianische<br />

Theorie zum Dogma (Münch 2001:29; Walz 1998:299-301).<br />

Auch im Protestantismus herrschte eine eher utilitaristische Einstellung zur<br />

Tierwelt vor: Tiere wurden zwar grundsätzlich als Geschöpfe Gottes anerkannt,<br />

sollten aber den Bedürfnissen der Menschen untergeordnet bleiben. Zahlreiche<br />

frühneuzeitliche Genesiskommentare, ob nun von katholischer oder protestantischer<br />

Seite, rollten <strong>die</strong> Frage nach dem schöpfungsgeschichtlichen Unterschied<br />

zwischen Menschen und Tieren erneut auf. Nur in Ausnahmefällen wagte es ein<br />

Gelehrter <strong>die</strong> dogmatisierte Interpretation der Einzigartigkeit und Unsterblichkeit<br />

der menschlichen Seele zu hinterfragen. Der französische Philosoph Michel de<br />

Montaigne (1533-1592) vertrat gegen <strong>die</strong> christliche Auffassung von der gottgewollten<br />

Überlegenheit der Menschen <strong>die</strong> Ansicht, dass <strong>die</strong> Ordnung der »Mutter<br />

Erde« gleichwertige Lebewesen hervorgebracht habe. Der hegemoniale Anspruch<br />

der christlichen Menschen gegenüber allen anderen Lebewesen entspringe nur der<br />

durch <strong>die</strong> Theologie genährten menschlichen Eitelkeit. Rund 300 Jahre später sollte<br />

sich Arthur Schopenhauer (1788-1860) in ähnlicher Weise von der aristotelischchristlichen<br />

Einstellung zu Tieren distanzieren (Staguhn 1996:73-89). In den<br />

1630er Jahren hatte der Wittenberger Arztes Daniel Sennert den substantiellen<br />

Unterschied im Schöpfungsakt von Menschen und Tieren in Zweifel gezogen,<br />

damit nicht nur eine heftige Debatte entfacht, sondern sich auch eine Häresieklage<br />

einhehandelt. Noch heftigere Debatten löste aber <strong>die</strong> beinah zeitgleich veröffentlichte<br />

cartesianische Sichtweise aus, dass Tiere überhaupt nur aus Materie bestün-<br />

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