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Susanne Hehenberger / Unkeusch wider die Natur

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Verhörenden stand <strong>die</strong> Notwendigkeit der möglichst detailreichen Beschreibung<br />

im geheimen Raum des Gerichts außer Frage. Auch der diskrete Umgang mit dem<br />

heiklen Wissen über verbotene sexuelle Praktiken dürfte aufgrund der Öffentlichkeit<br />

des Strafvollzugs schwierig umzusetzen gewesen sein. Die Verbrennung eines<br />

Menschen gemeinsam mit einem Pferd, mit einer Kuh oder mit einem Schwein<br />

muss dem Hinrichtungspublikum auch ohne Ablesung des Urteils klar gemacht<br />

haben, welches Delikt hier bestraft wurde. 279<br />

3.6.1. InquisitInnen, ZeugInnen und Verhörende<br />

Sprache, verstanden »als soziales Faktum, als von Akteuren realisierte Sprachhandlungen«<br />

(Puff 1998b:346) ist spätestens seit dem linguistic turn von zentraler<br />

Bedeutung für <strong>die</strong> Geschichtswissenschaft. 280 Die sprachliche Ausgestaltung von<br />

Verhören und ZeugInneneinvernahmen basiert auf einem festgeschriebenen Frage-<br />

Antwort-Schema. Aussagen entstehen zwar in Reaktion auf bestimmte Fragen, sie<br />

gehen aber oft über <strong>die</strong> bloße Beantwortung des Gefragten hinaus. Indiz für den<br />

Einsatz strategischer Antworten sind stereotype Aussagemuster, also Aussagen, <strong>die</strong><br />

immer wieder in ent- oder anschuldigender Weise gemacht werden, wie beispielsweise<br />

der wiederholte Verweis auf <strong>die</strong> Trunkenheit.<br />

Strafprozesse waren und sind in hohem Maße von sprachlichen Strategien und<br />

Machtausübung geprägte Situationen. Zwar sind <strong>die</strong> aus der Frühen Neuzeit überlieferten<br />

Gerichtsprotokolle im Gegensatz zu stenografischen Mitschriften und<br />

Tonbandtranskriptionen keine wortgetreuen Niederschriften des bei den Einvernahmen<br />

von InquisitInnen und ZeugInnen Gesprochenen. Dennoch halte ich es<br />

aufgrund struktureller Ähnlichkeiten für gerechtfertigt, <strong>die</strong> Erkenntnisse linguistischer<br />

Stu<strong>die</strong>n aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, <strong>die</strong> das Sprachverhalten<br />

der an Gerichtsprozessen beteiligten Personen untersuchen, für <strong>die</strong> Analyse des<br />

(sprachlichen) Agierens vor frühneuzeitlichen Gerichten nutzbar zu machen. Ruth<br />

Leodolter (später: Wodak) hat <strong>die</strong> Spezifika der sprachlichen Interaktion bei<br />

Gericht in einer 1975 erschienenen Stu<strong>die</strong> in fünf Punkten zusammengefasst. Mit<br />

geringfügigen Modifikationen können <strong>die</strong>se Charakteristika des Sprachverhaltens<br />

auch für Strafprozesse in der Frühen Neuzeit analytisch genutzt werden. Erstens ist<br />

<strong>die</strong> Zahl der interagierenden Personen und ihrer Rollen institutionalisiert und vorgegeben.<br />

Das trifft auf Sodomieprozesse in der Frühen Neuzeit genauso zu wie auf<br />

Strafverfahren in der Gegenwart. Zweitens geht es um <strong>die</strong> Rekonstruktion eines<br />

plausiblen Sachverhalts, der das Urteil rechtfertigt. In frühneuzeitlichen Verfahren<br />

ist <strong>die</strong> das Urteil legitimierende Plausibilität eines Sachverhaltes mit der von Gott<br />

auf <strong>die</strong> weltlichen Herrscher übertragenen Pflicht zur »Wahrheitsfindung« gleichzusetzen.<br />

Da in der Frühen Neuzeit nicht allen InquisitInnen vor Gericht das selbe<br />

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