Selbständig integriert? - Institut für Mittelstandsforschung ...
Selbständig integriert? - Institut für Mittelstandsforschung ...
Selbständig integriert? - Institut für Mittelstandsforschung ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
160<br />
In der Gesamtschau treten bei Migrantinnen vor allem die persönlichen Faktoren hervor, die eine Belastung<br />
im Gründungsprozess darstellen: Dies betrifft zumindest türkisch-, russisch- und italienischstämmige<br />
Gründerinnen. Mit Blick auf die psychischen und physischen Belastungen im persönlichen Umfeld, etwa im<br />
Bemühen um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, dürfte dies verständlich sein. Hinzu mag aber auch kommen,<br />
dass Frauen unter Umständen eher als die Männer gewisse Defizite eingestehen. Zumindest lassen die<br />
Ergebnisse der Hannoveraner Gründerinnenstudie den Schluss zu, „dass selbständige Migrantinnen grundsätzlich<br />
eine sensiblere Problemwahrnehmung als Migranten aufweisen“, 202 wobei – folgt man den Erkenntnissen<br />
der in Berlin bzw. im Ruhrgebiet durchgeführten Befragung 203 – Frauen auch den Gründungserfolg schwerpunktmäßig<br />
auf an ihre Person gebundene Faktoren zurückführen. 204<br />
Insgesamt zeigt sich jedenfalls in unserer Untersuchung, dass die weiblichen Migrantinnen weniger als die<br />
männlichen Migranten von institutionellen bzw. strukturellen Hindernissen betroffen sind, aber dennoch<br />
mehr als die Deutschen. Eine Ausnahme bilden hierbei noch die Italienerinnen, die in etwa auf gleich hohem<br />
Niveau wie die Männer türkischer oder polnischer Herkunft über Hindernisse struktureller Art klagen, aber<br />
trotzdem in weit geringerem Umfang als ihre männlichen italienischen Pendants. Im Vergleich zu den anderen<br />
Migrantinnengruppen schneiden – vor allem in Bezug auf die persönliche Komponente – Polinnen recht gut ab,<br />
was im Übrigen auch bei den polnischen Männern zu beobachten ist.<br />
13. Vereinbarkeit von Familie und beruflicher <strong>Selbständig</strong>keit<br />
Nahezu jegliche Forschung im Feld der „ethnischen Ökonomie“ berührt oder streift zumindest das Thema<br />
„Familie“, weil diese gemeinhin als zentrale Ressource – und unter Umständen sogar als Triebfeder – der unternehmerischen<br />
Aktivitäten von Migrant(inn)en gesehen wird. Der Rückgriff auf die Familie als eine (im wahrsten<br />
Sinne des Wortes) lebendige Quelle zur Rekrutierung von Beschäftigten, von Kapital oder zum Aufbau von<br />
Beziehungsnetzwerken, ist ein Charakteristikum von Migrantenselbständigkeit schlechthin. 205 Allerdings sollte<br />
nicht vergessen werden, dass Familienunternehmen nicht nur in der ethnischen Gemeinschaft, sondern auch<br />
in der Mehrheitsgesellschaft eine an Solidarität und Verpflichtungen orientierte soziale Funktion besitzen. Folgt<br />
man der Literatur ist die Besonderheit der familienwirtschaftlich organisierten Migrantenökonomie daher wohl<br />
viel eher darin zu sehen, dass sie es mehr als andere versteht, die Arbeitskraft der Familienmitglieder zu unternehmerisch<br />
vorteilhaften Bedingungen einzusetzen. Dies meint zumeist die Frau und die Kinder, weshalb in<br />
vielen Fällen ein patriarchalischer Wesenszug sicher nicht zu verleugnen ist: 206 Doch seit Frauenselbständigkeit,<br />
wenngleich zögerlich, auch in der Welt der ethnischen Ökonomie und in der Forschung angekommen ist, stellen<br />
sich neue Fragen: Wie anderswo lässt sich auch hier erkennen, dass die Beziehung zwischen Familie und<br />
Unternehmen nicht nur Vorteile sondern auch Konflikte birgt. Die Frage der Vereinbarkeit von privater und beruflicher<br />
Sphäre, d.h., auch das Spannungsfeld zwischen Familien- und unternehmerischer Verantwortung, hat<br />
längst auch die Lebenswelt von Migranten- bzw. Migrantinnenselbständigkeit erreicht.<br />
Andererseits jedoch wird deutlich, dass die Beziehung zwischen Familie und Unternehmen keine Einbahnstraße<br />
ist, das heißt die Familie nicht nur den unternehmerischen Aktivitäten dienen muss, sondern – umgekehrt –<br />
eine selbständige Erwerbsarbeit auch dem Familienleben (nicht nur in ökonomischer sondern auch in sozialer<br />
Sicht) entgegenkommen kann. Dieser Gedanke ist ohnehin eine neue Perspektive: Denn spätestens seit<br />
Schumpeter wird in der klassischen Entrepreneurship-Theorie der Gründer – eher selten auch die Gründerin<br />
– als Person beschrieben, die risikobereit neue Ideen umsetzt und hierzu Marktlücken aufspürt oder diese<br />
selbst kreiert. Doch dies scheint in neuerer Zeit nicht mehr der einzige und auch nicht mehr der dominierende<br />
Typus zu sein. Die Flexibilisierung von Unternehmen und Beschäftigung, Outsourcing, Computertechnologie<br />
sowie Heim- und Telearbeit haben zu neuen Chancen und Formen selbständiger Erwerbsarbeit geführt, die<br />
sich in mancherlei Hinsicht vom klassischen Bild des Entrepreneurs unterscheidet. Unter Umständen sind<br />
viele Gründer/innen auch gar nicht primär an neuen Märkten und Profit interessiert, sondern schätzen die<br />
Vorzüge einer selbständigen Erwerbstätigkeit in ganz anderer Hinsicht. Dies hängt damit zusammen, dass be-<br />
202 Hayen/ Unterberg 2008, S. 64. Auch mit Blick auf das „Fehlen an kaufmännischen Kenntnissen“ bemerken die Autoren, dass Frauen<br />
evtl. eher bereit sind, sich etwaige Probleme und Schwierigkeiten einzugestehen (ebenda S. 66). Allerdings wird in der Hannoveraner<br />
Studie nicht nach einzelnen Herkunftsgruppen differenziert, weshalb ein Vergleich mit unseren Ergebnissen nicht möglich war.<br />
203 Vgl. den Hinweis in Kapitel 1.2 sowie Bührmann et al. 2007.<br />
204 Jasper et al. 2008.<br />
205 Z.B. Aldrich/ Waldinger 1990; Light/ Rosenstein 1995; Portes 1995; Flap et al. 2000; Struder 2001.<br />
206 Struder 2001 und Hiebert 2003 konstatieren, dass in „ethnischen Familienunternehmen“ eher die Männer die Gewinner, Frauen und<br />
Kinder hingegen die Verlierer sind. Vgl. auch Hillmann 1999; Light 2004.