Selbständig integriert? - Institut für Mittelstandsforschung ...
Selbständig integriert? - Institut für Mittelstandsforschung ...
Selbständig integriert? - Institut für Mittelstandsforschung ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die „Neuzuwanderung“ von <strong>Selbständig</strong>en bleibt daher vor allem ein Privileg der Migranten aus den<br />
Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Da jedoch seit der EU-Osterweiterung die Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />
<strong>für</strong> die neuen Mitgliedstaaten durch sog. „Übergangsvereinbarungen“ bis auf Weiteres 52 eingeschränkt wurde<br />
(§ 13 FreizügG/EU) und Osteuropäer den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt suchen, zeigt sich, dass die<br />
Zuwanderung mit dem Ziel der Arbeitsaufnahme häufig „ersatzweise“ über den Weg der <strong>Selbständig</strong>keit, wenn<br />
nicht sogar der „Scheinselbständigkeit“, gegangen wird. 53<br />
Hierzu bieten sich zum einen die Regelungen des o.g. freien Niederlassungsrechts und zum anderen zur<br />
Dienstleistungsfreiheit an. Letztere bezieht sich auf das Recht, als <strong>Selbständig</strong>e/r oder als Gesellschaft ohne<br />
Einschränkungen über die Grenze hinweg in anderen EU-Staaten Dienstleistungen zu erbringen, wobei der<br />
Geschäftssitz im Herkunfts-Mitgliedsstaat verbleibt (Art. 49 EGV). 54 Deutschland hat sich (zunächst) vorbehalten,<br />
die Dienstleistungsfreiheit <strong>für</strong> Bürger aus den EU-8-Ländern einzuschränken. Sie wird aber nicht vollständig<br />
ausgesetzt. Für Ein-Personen-Unternehmen gelten die Einschränkungen jedoch nicht.<br />
Weitere gesetzliche Bestimmungen, welche sich auf die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in bestimmten<br />
Berufen oder Wirtschaftsbereichen beziehen ergeben sich aus institutionellen Regulierungen im Handwerk<br />
und in den Freien Berufen. Hiervon sind wiederum bestimmte Migrantengruppen in relativ stärkerem Maße<br />
betroffen, da die Regulierungen nicht nur einen ordnungspolitischen sonder auch qualifikationsbezogenen<br />
Charakter haben. Auch nach der Teilliberalisierung der Handwerksordnung und der teilweisen Aufhebung des<br />
Meisterzwangs verbleiben 41 Handwerksberufe, die bestimmte Qualifikationsnachweise erfordern. 55 Auch der<br />
Zugang zu den überwiegend akademisch geprägten Freien Berufen ist durch Zertifikate geregelt und steht<br />
daher nicht allen Ausländern offen. Die Nicht-Anerkennung von Hochschulabschlüssen dürfte hierbei ein gewichtiges<br />
Problem darstellen, allerdings nicht nur <strong>für</strong> Zuwanderer/innen aus Nicht-EU-Ländern.<br />
Dies sind nur einige der Rahmenbedingungen <strong>für</strong> den Schritt in die <strong>Selbständig</strong>keit, die wenigstens zu einem<br />
Teil verständlich machen, weshalb sich die Gründungsaktivitäten herkunftsspezifisch so unterschiedlich entwickelt<br />
haben und insbesondere die der Polinnen und Polen in die Höhe geschossen sind (Kapitel 5.1). Zu beachten<br />
ist allerdings, dass noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren das Gründungsgeschehen zusätzlich beeinflussen,<br />
was in den nachfolgenden Kapiteln deutlich wird.<br />
Relevanz <strong>für</strong> einzelne Herkunftsgruppen<br />
Welche Implikationen lassen sich aus den institutionellen Rahmenbedingungen mit Blick auf die<br />
Gründungsmöglichkeiten und -aktivitäten der Herkunftsgruppen ableiten?<br />
Gründungswillige Italiener/innen sind von den genannten Rahmenbedingungen kaum betroffen, da sie als EU-<br />
Angehörige uneingeschränkt vom freien Niederlassungsrecht Gebrauch machen können. Ein Problem dürfte<br />
in vielen Fällen jedoch die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Berufen sein, deren Zugang<br />
durch qualifikationsbezogene Regulierungen beschränkt ist. Dies betrifft insbesondere die Zuwanderer der<br />
ersten Generation, die vor dem Anwerbungsstopp in großer Zahl ohne berufliche Ausbildungen und vornehmlich<br />
aus Süditalien nach Deutschland kamen, aber mittlerweile genauso deren Nachfahren, da auch die zweite<br />
Generation erhebliche Bildungsdefizite aufweist. 56<br />
52 Den bisherigen Mitgliedstaaten ist es erlaubt, ihre nationalen Zugangsregelungen vorerst beizubehalten. Sie dürfen sich allerdings<br />
nicht verschlechtern und müssen bis spätestens 2011 (bzw. 2014) aufgehoben werden.<br />
53 John 2007; Nowicka/ Zielínska 2007; Hönekopp 2007.<br />
54 Voraussetzungen <strong>für</strong> die Dienstleistungsfreiheit sind: Nichtkörperlichkeit der Leistung, <strong>Selbständig</strong>keit (Unterschied zur Arbeitnehmerfreizügigkeit),<br />
nur vorübergehende Dauer der Tätigkeit, d.h., keine wirtschaftliche Integration in die nationale Volkswirtschaft<br />
(Unterschied zur Niederlassungsfreiheit) sowie Entgeltlichkeit.<br />
55 Im Vollhandwerk erfolgt bei Nachweis der erforderlichen Qualifikation die Eintragung in Anlage A der Handwerksrolle. Über Ausnahmen<br />
entscheidet die Handwerkskammer. Dabei gelten <strong>für</strong> EU-Ausländer zusätzliche Regelungen nach der EU-Handwerksordnung.<br />
Diesen kann bei Nachweis notwendiger Kenntnisse und Fähigkeiten die Gründung eines Handwerksbetriebs gestattet werden, <strong>für</strong><br />
den normalerweise der Meisterbrief erforderlich ist. Nicht-EU-Ausländer profitieren hiervon nicht. Die Ausübung der in der Anlagen B<br />
verzeichneten handwerksähnlichen Berufe, insbesondere der in Abschnitt B1 enthaltenen zulassungsfreien Berufe, unterliegt keinen<br />
Einschränkungen und kann ohne Qualifikationsnachweis in selbständiger Tätigkeit ausgeübt werden.<br />
56 Vgl. zum Beispiel die Befunde der PISA-Erhebungen sowie Haug 2005 oder Kristen/ Granato 2007.<br />
55