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Selbständig integriert? - Institut für Mittelstandsforschung ...

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Die Migranten aus der Türkei liegen dagegen auf einem eher mittleren Platz. 74 Bei der Messung und Bewertung<br />

von Migrantenselbständigkeit wird im übrigen oftmals übersehen, dass inzwischen ein beachtlicher Teil auch<br />

aus den nordeuropäischen und dabei insbesondere auch aus den unmittelbaren Anrainerstaaten (v.a. aus den<br />

Niederlanden und Österreich) kommt.<br />

Erklärungsansätze <strong>für</strong> das unternehmerische Verhalten von Migranten<br />

Welche Faktoren tragen zu den überproportional gestiegenen Gründungsaktivitäten von Personen mit<br />

Zuwanderungsgeschichte bei? Neuere theoretische Ansätze zur Erklärung von „ethnischem Unternehmertum“<br />

wurden – sieht man von den „Klassikern“ der deutschen Soziologie ab 75 – hierzulande kaum entwickelt.<br />

International betrachtet bewegen sich die Versuche, die unternehmerischen Aktivitäten von Migranten zu<br />

erklären, in einem Spannungsfeld von angebots- und nachfrageorientierter Sicht. Doch in der sog. „Ethnic<br />

Entrepreneurship-Forschung“ standen angebotsseitig weniger die individuellen Ressourcen bzw. das<br />

Humankapital der Akteure 76 im Vordergrund als vielmehr die mit sozialem und kulturellem Kapital verbundenen<br />

Gruppencharakteristika bestimmter Ethnien. 77 Hierzu mögen Familienbande oder Netzwerkbeziehungen<br />

genauso wie ethnische Solidarität oder die Beschäftigung von Landsleuten zählen. Zwar war ein Teil der<br />

Forschung noch mit der Frage befasst, inwieweit die unternehmerischen Neigungen bestimmter Gruppen<br />

auf mit der Zuwanderung „importierten“ kulturellen Prädispositionen und Traditionen beruhen. 78 Doch „kulturelle“<br />

Deutungen in einer singulären orthodoxen Form spielen heute eine untergeordnete Rolle, vor allem<br />

wenn sie dazu neigen, die im Ankunftsland situativ wirkenden Faktoren auszuklammern und zudem ethnische<br />

Eigenheiten allen anderen unternehmerischen Fähigkeiten überzuordnen.<br />

Zwischenzeitlich herrscht weitestgehend Einigkeit, dass <strong>für</strong> den Schritt zur beruflichen <strong>Selbständig</strong>keit zwar<br />

Ressourcen verschiedenster Art, aber genauso strukturelle Faktoren, wie etwa der Absatz- und der Arbeitsmarkt<br />

von Bedeutung sind. 79 Dies heißt auch: Migranten entwickeln diverse Strategien um ihre spezifischen Fähigkeiten<br />

und Ressourcen in einem <strong>für</strong> sie adäquaten Umfeld einzusetzen. Bis heute übt sich das Gros der Ethnic<br />

Entrepreneurship-Forschung an dem von Waldinger, Aldrich und Ward (1990) entworfenen Interaktionsansatz,<br />

der das interaktive Zusammenspiel von ethnischen Ressourcen und Gelegenheitsstrukturen betont. Das<br />

Mehrebenenmodell ist allerdings komplex und empirisch kaum zu evaluieren. 80 In einer Kritik und Weiterführung<br />

verweisen Kloosterman und Rath (2001) zudem auf die soziale „Einbettung“ der unternehmerischen Aktivitäten<br />

in das lokale politisch-institutionelle Umfeld und unterstreichen stärker als zuvor die Bedeutung rechtlicher<br />

Rahmenbedingungen. Letztere bestimmten nicht nur den Umfang von Migrantenselbständigkeit sondern auch<br />

die zugrundeliegenden Charakteristika, was <strong>für</strong> Deutschland besondere Implikationen birgt.<br />

Balance zwischen ökonomischer Marginalität und struktureller Integration<br />

Stärker als auf internationaler Ebene ist die Diskussion um die Ursachen und die Bedeutung von<br />

Migrantenselbständigkeit in Deutschland mit der Frage verbunden, welche Integrationswirkung von ihr ausgeht,<br />

da sich Migranten mit der Gründung eines eigenen Unternehmens u.U. die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg<br />

bietet. Hier steht also die Frage im Vordergrund, inwieweit es (ggf.) sozial benachteiligten Minderheiten gelingt,<br />

aus ihrer Not eine Tugend zu machen. Oberflächlich betrachtet ließe sich der Anstieg der <strong>Selbständig</strong>enzahlen<br />

unter Migranten als Ausdruck zunehmender struktureller Integration in die Aufnahmegesellschaft interpretieren,<br />

zumindest <strong>für</strong> diejenigen Gruppen, die in der beruflichen <strong>Selbständig</strong>keit bislang unterrepräsentiert waren.<br />

Andererseits könnte das selbe Phänomen auch als ein Ergebnis zunehmender Marginalisierung gewertet<br />

werden, falls die Gründung eines Unternehmens die soziale Position nicht verbessert sondern verschlechtert.<br />

D.h., als Indikatoren zur Einschätzung der Integrationswirkung beruflicher <strong>Selbständig</strong>keit kann nicht nur deren<br />

quantitative Entwicklung sondern es müssen zudem die Motive vor der Gründung sowie die soziale und<br />

ökonomische Lage danach bewertet werden.<br />

74 Leicht/ Langhauser 2009.<br />

75 Schon Max Weber (1904) und Werner Sombart (1911) beschrieben den Einfluss religiöser Werthaltungen auf das unternehmerische<br />

Verhalten bestimmter Gruppen und Georg Simmel (1908) den Einfluss von Fremdheit und Migrationserfahrung. Erst durch die<br />

Untersuchungen von Light (1972) und Bonacich (1973) wurde der Fokus auf das unternehmerische Verhalten von Migranten in den<br />

modernen Industrieländern gelenkt.<br />

76 Sanders/ Nee 1996; Bates 1997; Marger 2001 sowie allgemein auch vorhergehender Abschnitt. Für Deutschland: Constant et al. 2003;<br />

Zimmermann/ Hinte 2005; Fertala 2006.<br />

77 Bonacich 1973; Light 1984; Portes 1995.<br />

78 Bonacich/ Modell 1980, Wilson/ Portes 1980 oder auch später noch Basu/ Altinary 2002. Einige Forscher, wie Light oder Portes,<br />

rückten jedoch im Verlauf der Zeit von „klassischen Formen“ kultureller Ansätze ab.<br />

79 Clark/ Drinkwater 2000; Light/ Gold 2000.<br />

80 Siehe auch die Kritik von Light und Rosenstein 1995.<br />

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