KLINISCHE PSYCHOLOGIE
KLINISCHE PSYCHOLOGIE
KLINISCHE PSYCHOLOGIE
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
4.4. Psychologische Ätiologiefaktoren<br />
4.4.1. Kritische Lebensereignisse („Life-Events“) und Stress<br />
Depressive Episoden werden am besten vorhergesagt durch:<br />
Eine vorhergehende Episode<br />
Eine genetische (familiäre) Prädisposition<br />
Mehrere Studien haben jedoch gezeigt, dass auch kritische Lebensereignisse (sog.<br />
„Life-Events“) die Wahrscheinlichkeit einer depressiven Episode erhöhen.<br />
Pionierarbeit haben in diesem Zusammenhang Brown & Harris geleistet:<br />
Im Zuge einer Längsschnittstudie (Anfang der 80er) befragten sie z.B.<br />
Arbeiterfrauen aus Islington (Londoner Stadtbezirk) sowohl zu ihrem<br />
psychischen Befinden, als auch zu kritischen Lebensereignissen (LEDS: „Life<br />
Events and Difficulty Shedule“) und untersuchten, inwiefern das Auftreten<br />
einer Depression durch letztere vorhergesagt werden kann.<br />
Die wichtigsten Ergebnisse der „Islington-Studie“:<br />
Den meisten Manifestationen einer Depression gehen „Auslöser“ („provoking<br />
agents“) voraus: entweder ein schwerwiegendes bedrohliches Ereignis, das<br />
noch 10-14 Tage später präsent ist (z.B. Krankheit) oder eine größere<br />
Schwierigkeit von mind. 2-jähriger Dauer (z.B. Beziehungsprobleme).<br />
Von den 130 befragten Frauen hatten insgesamt 22% im<br />
Untersuchungszeitraum (1 Jahr) eine depressive Episode. Nahm man nur<br />
die Frauen, die mindestens ein schwerwiegendes Ereignis in einem Bereich<br />
ausgeprägten Engagements erlebt hatten, in den Blick, erhöhte sich dieser<br />
Anteil auf 40%. Von den Frauen, die so ein „Life Event“ nicht hatten,<br />
erlitten dagegen nur 14% eine depressive Episode.<br />
Ein schwerwiegendes „Life-Event“ scheint jedoch nur dann zu einer<br />
Depression zu führen, wenn ein zusätzlicher psychosozialer<br />
Vulnerabilitätsfaktor vorliegt: Fehlendes Vertrauen in der Kernbeziehung;<br />
mehr als 3 Kinder unter 14; Verlust der Mutter vor dem 11. Lebensjahr etc.<br />
Darüber hinaus haben Anzahl und Art der „Life-Events“ einen Einfluss auf<br />
die Depressionsrate.<br />
Je mehr kritische Lebensereignisse auftreten, desto höher die<br />
Wahrscheinlichkeit einer Depression.<br />
Demütigende Erfahrungen (Misserfolg, Missbrauch etc.) bergen dabei das<br />
größte-, Verlusterfahrungen (Tod, Trennung, liebgewonnene Idee,<br />
materieller Verlust etc.) das zweitgrößte Risiko. Gefahrenereignisse führen<br />
nicht zu Depressionen.<br />
Das Vorhandensein eines Risikofaktors (Kindheitsbelastung oder<br />
interpersonelle Probleme während der Depression) erhöht die<br />
Wahrscheinlichkeit eines chronischen Verlaufs:<br />
44% (mit Risikofaktor) zu 7% (ohne Risikofaktor)<br />
Der Anteil von Patienten, bei denen ein positives Ereignis vor einer Remission<br />
zu beobachten war, liegt generell bei über 50%, hängt aber im Einzelnen davon<br />
ab, ob und wenn ja, welche Medikamente eingesetzt wurden.<br />
Schutz zu bieten scheinen u.a. ein außer-häusiger Beruf (Teilzeit oder<br />
Vollzeit), eine stabile Kernbeziehung und eine religiöse Überzeugung.<br />
Bedenke: Bei 25 % der depressiven Patienten liegt kein „kritisches Lebensereignis“<br />
vor; darüber hinaus nimmt der Einfluss von „Life-Events“ mit zunehmender Anzahl<br />
der Episoden ab.<br />
39