21.01.2014 Aufrufe

33. Sitzung - Deutscher Bundestag

33. Sitzung - Deutscher Bundestag

33. Sitzung - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

2550 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />

Freimut Duve<br />

Es wäre gut, wenn sich diese Konferenz auch mit<br />

der Situation in Jugoslawien befassen würde. Es ist zu<br />

begrüßen, daß die Außenminister baltischer Staaten<br />

in Berlin anwesend sind.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

Sie nehmen nicht offiziell teil. Aber dennoch ist dies<br />

ein Schritt, der zeigt, wie offen dieser KSZE-Prozeß<br />

inzwischen geworden ist.<br />

Ich will in diesem Zusammenhang an ein Wort des<br />

Philosophen Karl Jaspers erinnern. Vor genau 25 Jahren<br />

hat er geschrieben:<br />

Das Mögliche und Wünschenswerte wäre zukünftig<br />

ein Gewebe von Verträgen, das die<br />

Menschheit zu einer faktisch friedlichen Einheit<br />

in einem dann immer noch labilen Zustand verbände.<br />

In seinem Text schließt Japsers aus, daß es zu einer<br />

Weltgesellschaft oder zu einem Weltstaat kommen<br />

würde. Nein, meint er, es würden viele kleine Staaten<br />

sein, aber sie müßten durch solche Vertragssysteme<br />

zusammengehalten werden.<br />

Dieses Gewebe vieler Verträge existiert heute in<br />

Europa. Die Gefahr eines großen Konflikts, den man<br />

Weltkrieg nennen könnte, ist heute geringer als je<br />

zuvor in den vergangenen 40 Jahren. Daran hat Helsinki<br />

und daran hat die KSZE einen nicht geringen<br />

Anteil.<br />

Wir sind im Zusammenhang mit der Außenministerkonferenz<br />

heute morgen in Berlin stolz, an Willy<br />

Brandt und Helmut Schmidt zu erinnern. Ohne die<br />

Leistung der Ostpolitik gäbe es dieses Treffen in diesem<br />

Berlin heute nicht.<br />

(Beifall bei der SPD — Ul rich Irmer [FDP]:<br />

Genscher nicht vergessen, Herr Duve!)<br />

- Es ist für einen Angehörigen des Deutschen <strong>Bundestag</strong>es<br />

völlig unmöglich, Herr Kollege Irmer, Herrn<br />

Genscher je zu vergessen. Dafür sorgt er schon selber.<br />

(Heiterkeit bei der FDP)<br />

Die KSZE ist in den letzten zwei Jahren nicht immer<br />

so ernst genommen worden wie heute und morgen in<br />

Berlin. Daß auch der amerikanische Außenminister in<br />

ihr wieder ein wichtiges Element für die friedlichen<br />

Konstruktionen des europäischen und transatlantischen<br />

Brückenbaus sieht, läßt hoffen, daß der Helsinki-Gedanke<br />

neue Strahlkraft auch woanders bekommt.<br />

Ich denke etwa daran, daß sich viele einen<br />

Friedensprozeß im Nahen Osten nur unter den Möglichkeiten<br />

eines Helsinki-Vorgangs, nämlich eines<br />

-<br />

breiten Prozesses, in dem man über die verschiedenen<br />

Körbe dann auch an unterschiedlichen Tischen diskutiert,<br />

vorstellen können.<br />

KSZE, meine Damen und Herren, das ist nicht nur<br />

ein Reichtum an Dokumenten, sondern auch an Erfahrungen.<br />

Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern,<br />

daß es schon auf der Budapester Kulturkonf e-<br />

renz der KSZE zu keinem Schlußdokument gekommen<br />

war, weil sich Rumänien nicht dazu verstehen<br />

konnte, einen Passus über kulturelle Rechte von Minderheiten<br />

zu akzeptieren. Er hätte die Ungarn und die<br />

Deutschen in Rumänien betroffen.<br />

Damals war dies in der öffentlichen Diskussion völlig<br />

untergegangen. Die beiden Warschauer-Pakt-Mitgliedstaaten<br />

Ungarn und Rumänien haben das unter<br />

der Decke gehalten, und alle gemeinsam haben den<br />

Eindruck erweckt, als läge es an den USA und an der<br />

Sowjetunion, daß es nicht zu einem Schlußdokument<br />

gekommen war. Das war noch der Kalte Krieg. Aber in<br />

Wahrheit gab es tief unter der Decke dieser Konferenz<br />

bereits einen völlig anderen Konflikt, den eigentlichen<br />

Konfliktstoff. Ich erinnere daran immer gern,<br />

weil wir es leicht vergessen.<br />

Ich darf an das Schlußdokument von Malta aus dem<br />

Februar dieses Jahres erinnern, als ein Expertentreffen<br />

ein Rechtssicherheitsnetz zur f riedlichen Beilegung<br />

von Streitigkeiten gesucht hatte. Dieses Treffen<br />

hat wirklich kein revolutionäres Ergebnis zustande<br />

gebracht, aber immerhin einen Schlichtungsmechanismus<br />

mit KSZE-Schiedsrichtern etabliert; dies ist ein<br />

erster Schritt. Und ich erinnere an die Pariser Konferenz<br />

vom November 1990, als die Regierungschefs die<br />

Charta für ein neues Europa vorstellten, die sich auch<br />

schon insbesondere mit den Menschenrechtsforderungen<br />

befaßte.<br />

Wenige Tage nach dem Außenministertreffen in<br />

Berlin nimmt das Expertentreffen Anfang Juli in Genf<br />

ein wichtiges Element der europäischen Wirklichkeit<br />

auf. Über nationale Minderheiten soll im Anschluß an<br />

die Kopenhagener Erklärung zwölf Monate später<br />

diskutiert werden. Die Fraktionen des Deutschen<br />

<strong>Bundestag</strong>es haben in den vergangenen Tagen eine<br />

gemeinsame Entschließung zu diesem Thema vorbereitet.<br />

Sie soll heute verabschiedet und den Genfer<br />

Experten mit auf den Weg gegeben werden. Lassen<br />

Sie mich einige grundsätzliche Fragen dazu aufwerfen.<br />

Wenn ich unsere Verfassung richtig verstehe, dann<br />

regelt sie die Notwendigkeit, immer wieder Mehrheiten<br />

zu finden, deren vornehmste Aufgabe es ist, Minderheiten,<br />

den einzelnen und die vielfältigen Gruppen,<br />

zu denen sich einzelne zusammenschließen, zu<br />

schützen. Mehrheit in diesem Verständnis ist eine demokratische<br />

Notwendigkeit, aber kein fester sozialer<br />

oder kultureller Tatbestand. Wir alle gehören in der<br />

modernen Gesellschaft im Laufe unseres Lebens sehr<br />

verschiedenen Gruppen an, in der Regel in Wahrheit<br />

Minderheiten.<br />

In Genf wird es um nationale Minderheiten gehen.<br />

Ich denke, wenn wir Deutschen darüber diskutieren,<br />

müssen wir einmal an die glückliche Homogenität<br />

unseres Volkes denken. Auf der anderen Seite dürfen<br />

wir nicht vergessen, daß es nach wie vor das Welter<br />

schrecken über den grausamsten Völkermord gibt,<br />

den ausgerechnet wir Deutschen in diesem Jahrhundert<br />

an Juden, an Sinti und Roma verübt haben.<br />

Meine erste Bemerkung: Wir möchten den Experten<br />

in Genf gerne die Frage mit auf den Weg geben,<br />

ob zu dem Beg riff nationale Minderheiten etwa auch<br />

das Volk der Sinti und Roma gehört. Ich weiß nicht, ob<br />

wir für all das, was uns in Europa mit Minderheitenfragen<br />

beschäftigt, den Begriff nationale Minderheiten<br />

wirklich ausreichend nutzen können. Gehören<br />

also Sinti und Roma dazu? Wie werden die seit Jahrhunderten<br />

in Europa lebenden fast fünf Millionen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!