33. Sitzung - Deutscher Bundestag
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2576 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg<br />
b) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)<br />
gemäß § 96 der Geschäftsordnung<br />
— Drucksache 12/801 —<br />
Berichterstatter:<br />
Abgeordnete Michael von Schmude<br />
Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen)<br />
Hinrich Kuessner<br />
(Erste Beratung 29. <strong>Sitzung</strong>)<br />
Interfraktionell ist vereinbart worden, von der Frist<br />
für den Beginn der Beratung abzuweichen. Ist das<br />
Haus damit einverstanden? — Widerspruch erhebt<br />
sich nicht. Dann darf ich das zunächst einmal als beschlossen<br />
feststellen.<br />
Der Ältestenrat empfiehlt Ihnen eine Debattenzeit<br />
von einer Stunde. — Auch dagegen erhebt sich kein<br />
Widerspruch. Dann habe ich dies ebenfalls als beschlossen<br />
festzustellen.<br />
Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß über<br />
die Änderung des Grundgesetzes namentlich abgestimmt<br />
werden soll. Die Abstimmung soll nach der <strong>Sitzung</strong>sunterbrechung,<br />
also gegen 18 Uhr, stattfinden.<br />
Wie bekannt, wird die <strong>Sitzung</strong> um 16.30 Uhr unterbrochen,<br />
weil verschiedene Fraktionssitzungen stattfinden<br />
sollen.<br />
Nach diesen Informationen eröffne ich die Aussprache<br />
und erteile zunächst einmal der Abgeordneten<br />
Frau Däubler-Gmelin das Wort.<br />
Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD): Herr Präsident!<br />
Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in zweiter<br />
und dritter Lesung eine Grundgesetzänderung<br />
und ein Verfahrensgesetz. Damit soll der Deutsche<br />
<strong>Bundestag</strong> die Möglichkeit schaffen, die Entscheidung<br />
über Parlaments- und Regierungssitz nicht im<br />
<strong>Bundestag</strong> und Bundesrat alleine zu treffen, sondern<br />
diese Frage einer Volksabstimmung vorzulegen, also<br />
den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land die<br />
Letztentscheidung über diese Frage vorzubehalten.<br />
Wir Sozialdemokraten haben diese Vorschläge eingebracht<br />
und halten sie aus drei Gründen für vernünftig.<br />
Erstens halten wir sie für vernünftig, weil die Menschen<br />
in unserem Lande selber über die Frage abstimmen<br />
wollen, von welcher Stadt aus sie regiert zu werden<br />
wünschen.<br />
(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/<br />
GRÜNE)<br />
Es hat selten eine Frage gegeben, die mit so viel Engagement<br />
in jeder Familie diskutiert wurde wie die<br />
Frage, ob nun das geeinte Deutschland weiter aus<br />
Bonn oder zukünftig aus Berlin regiert werden sollte.<br />
Das zeigt uns mittlerweile jede Umfrage von Forschungsinstituten.<br />
Mehr als 80 % der Menschen in<br />
unserem Land sagen, daß sie selber entscheiden wollen.<br />
Das zeigen uns auch die vielen Briefe, die wir doch<br />
alle bekommen. Die Briefe, die ich bekomme, zeigen<br />
noch ein weiteres: Sie enthalten eine ganze Menge<br />
wohlabgewogener, sehr interessanter Stellungnahmen<br />
— übrigens völlig unabhängig davon, ob sich die<br />
Verfasserinnen und Verfasser für Berlin oder für Bonn<br />
entscheiden möchten. Aber daß sie nicht entscheiden<br />
können, ärgert sie. Gerade weil sie es nicht können,<br />
gibt es mittlerweile eine Menge von Ersatz- und Alibiaktionen.<br />
Zeitungen rufen zu Meinungsäußerungen<br />
auf. Rundfunkanstalten melden täglich, es könne bei<br />
ihnen in dieser Sache angerufen werden. Die Rundfunkinstitution<br />
TED wird genutzt; Unterschriftenaktionen<br />
werden mit großer Begeisterung und großem<br />
Engagement angenommen.<br />
Für uns hier im <strong>Bundestag</strong> stellt sich die Frage:<br />
Müssen wir es wirklich bei solchen Ersatzaktionen<br />
belassen, obwohl wir doch alle wissen, daß sie wegen<br />
der häufig einseitigen Fragestellung und einer völlig<br />
unüberprüfbaren, bisweilen auch manipulativen Verfahrensausgestaltung<br />
ein jämmerliches Zerrbild von<br />
Bürgerbeteiligung darstellen?<br />
(Beifall bei der SPD, dem Bündnis 90/<br />
GRÜNE und der PDS/Linke Liste)<br />
Wir sagen: Wir sollten es nicht dabei belassen. Wir<br />
sollten uns — auch Sie meine Damen und Herren von<br />
den Parteien, die die Regierung tragen — dazu durchringen,<br />
nach der Entscheidung von <strong>Bundestag</strong> und<br />
Bundesrat und damit der Stellungnahme in der Sache,<br />
die dann Empfehlungscharakter bekommt, eine<br />
Volksabstimmung zu ermöglichen, die Entscheidungsmöglichkeit<br />
bei den Bürgerinnen und Bürgern<br />
zu eröffnen, und zwar in einem einwandfreien und<br />
vorher festliegenden Verfahren, das Manipulationen<br />
und Einseitigkeit ausschließt.<br />
(Beifall bei der SPD)<br />
Wir haben keinen Zweifel — das ist unser zweiter<br />
Grund —, daß die Bürgerinnen und Bürger in unserem<br />
Land auch fähig sind, über diese Frage selbst zu<br />
entscheiden — allerdings als Abschluß eines ebenso<br />
offenen wie fairen Diskussionsprozesses, in der unter<br />
Einbeziehung der Stellungnahmen aus der Politik und<br />
unter Einbeziehung einer verantwortlichen Berichterstattung<br />
durch die Medien Meinungen vorgetragen,<br />
Standpunkte geklärt und Argumente ausgetauscht<br />
und bewertet werden können. Das muß für die Vorund<br />
Nachteile jedes Vorschlags und jeder Empfehlung,<br />
auch für die Berücksichtigung der möglichen<br />
Kostenfolgen gelten.<br />
Ich will wiederholen: Daß die Bürgerinnen und Bürger<br />
heute noch nicht selbst entscheiden dürfen, nicht<br />
einmal in dieser Frage, ärgert viele. Das verstärkt die<br />
Vorwürfe, normale Bürger seien sowieso hilflos gegenüber<br />
dem, was Politiker entscheiden. Es vertieft<br />
das Gefühl, die ganzen wichtigen Fragen der deutschen<br />
Einheit und die Überwindung der Teilung in<br />
Deutschland werde an den Bürgerinnen und Bürgern<br />
in unserem Land vorbei, ja, über ihre Köpfe hinweg<br />
entschieden.<br />
Die Entscheidung für Bonn oder Berlin oder auch für<br />
eine Konsenslösung ist doch für viele Menschen in<br />
unserem Land viel mehr als eine Entscheidung über<br />
eine Stadt. Das ist doch geradezu Symbol für die<br />
Frage, wie es nach der staatlichen Einheit jetzt mit der<br />
Überwindung der Teilung in Deutschland weitergehen<br />
soll.<br />
Die Entscheidung für Bonn oder Berlin — ich will<br />
das nochmals betonen — wird nicht einmal überwiegend<br />
mit lokalen, mit kommunalen oder mit regionalen<br />
Argumenten begründet, sondern es geht auch, ja,