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33. Sitzung - Deutscher Bundestag

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2700* <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />

gelten jetzt ebenfalls die Regeln des Adoptionsrechts<br />

im BGB.<br />

Andererseits hat der Einigungsvertrag die Problematik<br />

von Adoptionen ohne Zustimmung der Betroffenen<br />

und auch ausgesprochene Zwangsadoptionen<br />

im Blick gehabt. Wir müssen deshalb sehr unterschiedlich<br />

gelagerte Fälle unterscheiden.<br />

Einige Fälle weisen darauf hin, daß das Erziehungsrecht<br />

wegen angeblicher „Asozialität" entzogen<br />

wurde. In solchen Fällen wurde den Eltern, weil sie<br />

z. B. ihre Pflicht zur Arbeit verletzten, während der<br />

Haftzeit das Erziehungsrecht entzogen. Im übrigen<br />

kann der Entzug des Erziehungsrechts auf ein Versagen<br />

der Eltern (z. B. mangelnde Versorgung, Kindesmißhandlung)<br />

zurückzuführen sein.<br />

Der Antrag der Koalition meint offenbar diese Fälle<br />

nicht, denn er spricht in der Überschrift von Zwangsadoptionen.<br />

Er ist allerdings im Antragstext nicht präzise<br />

genug, denn es geht ja wohl um politisch motivierte<br />

Zwangsadoptionen. In § 13 sind aber Tatbestände<br />

mit unterschiedlichem Fristverlauf aufgeführt.<br />

Ich gehe davon aus, daß hier der Fall des § 13 Abs. 5<br />

gemeint ist, in dem Eltern das Erziehungsrecht entzogen<br />

war. Hier kann das Annahmeverhältnis auf Antrag<br />

eines Elternteils innerhalb eines Jahres aufgehoben<br />

werden.<br />

Trotz aller Empörung über das auch in dieser Hinsicht<br />

begangene staatliche Unrecht formuliert der Einigungsvertrag<br />

eine differenzierte Lösung. Er knüpft<br />

zum einen die Wiedergutmachung an eine einjährige<br />

Ausschlußfrist, mit der Erwägung, daß baldmöglichst<br />

eine Klärung darüber herbeigeführt werden muß, ob<br />

eine Aufhebung von Zwangsadoptionen erfolgen soll.<br />

Nach Ablauf der Jahresfrist soll ein für allemal klar<br />

sein, ob solche Adoptionen Bestand haben sollen oder<br />

nicht.<br />

Zum anderen erfolgt auch die Überprüfung von<br />

Zwangsadoptionen auf Antrag durch das Vormundschaftsgericht<br />

im Einzelfall, bei dem gerichtlich überprüft<br />

wird, ob eine Rückgängigmachung der Adoption<br />

vertretbar ist. Entscheidend ist dabei das Wohl des<br />

Kindes. Dieses Kriterium kann auch bedeuten, daß<br />

eine Zwangsadoption im Einzelfall nicht rückgängig<br />

gemacht wird, weil innerhalb von 15 oder mehr Jahren<br />

zwischen den Kindern und den Adoptiveltern eine<br />

schützenswerte und vorrangige Eltern-Kind-Beziehung<br />

entstanden ist. D. h. in jedem Fall muß das Gericht<br />

das Kindeswohl in den Vordergrund stellen und<br />

eine Abwägung treffen. Also keine Automatik. Früheres<br />

Unrecht kann nicht durch neues Unrecht kompensiert<br />

werden, so schmerzlich dies im Einzelfall sein<br />

kann. Es wird im übrigen sehr stark davon - abhängen,<br />

wie sich die Kinder in der neuen Situation verhalten.<br />

Noch ein Gesichtspunkt verdient eine entsprechende<br />

Beachtung. In der Mehrzahl der Fälle geht es<br />

den Eltern auch um die eigene Rehabilitierung und<br />

darum, Kontakt zu den Kindern herzustellen. Dafür<br />

spricht, daß Aufhebungsanträge von den Eltern bisher<br />

nicht gestellt wurden. In diesem sensiblen Bereich ist<br />

es auch angezeigt, auf eine außergerichtliche Klärung<br />

hinzuwirken. In solchen Fällen könnte eine Verlängerung<br />

der Antragsfrist sinnvoll sein.<br />

Wir würden einer Änderung der Antragsfrist zunächst<br />

eine intensive Aufklärung durch die Bundesre<br />

gierung und die zuständigen Behörden vorziehen. Es<br />

sollten alle diejenigen auf den Ablauf der F rist hingewiesen<br />

werden, die davon betroffen sein können. Die<br />

Zahl der Fälle ist nicht bekannt. Es sind nicht viele.<br />

Aber ich glaube, daß diejenigen, die von der Zwangsadoption<br />

betroffen sind und diese rückgängig machen<br />

wollen, schon jetzt nicht ruhen werden, bis darüber<br />

entschieden ist.<br />

Eine Aufhebung der Antragsfrist ist für uns aus<br />

Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens<br />

nicht zu verantworten. Auch eine Fristverlängerung<br />

bedarf sorgfältiger Abwägung. Der Gegenbeweis,<br />

daß eine Verlängerung erforderlich ist, wäre noch zu<br />

führen.<br />

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Ein<br />

dunkles Kapitel in der Familienpolitik der ehemaligen<br />

DDR zwingt uns zu der heutigen Beratung. Die letzten<br />

Wochen haben es auf Grund einer ausführlichen Berichterstattung<br />

in den Medien an die Öffentlichkeit<br />

gebracht; Eltern wurde das Erziehungsrecht für ihre<br />

Kinder entzogen, und diese wurden dann zur Adoption<br />

freigegeben und von Dritten adoptiert. Nach den<br />

bisher bekanntgewordenen Fällen lag der Entziehung<br />

des Erziehungsrechts aber nicht das Wohl des Kindes<br />

zugrunde, sondern ausschlaggebend soll in einer derzeit<br />

noch nicht zu überblickenden Anzahl von Fällen<br />

politisch unerwünschtes und mißliebiges Verhalten<br />

der Eltern gewesen sein.<br />

Was das alles umfassen konnte und wie weit dies je<br />

nach Gutdünken und Absicht ausgelegt werden<br />

konnte, wird uns fast täglich im Zusammenhang mit<br />

der Beschäftigung mit Rehabilitierungsfragen und der<br />

Aufarbeitung der Stasi-Altlasten vor Augen geführt.<br />

Von politisch kritischen bzw. unerwünschten Äußerungen<br />

bis zu Fluchtversuchen waren diese Handlungen<br />

und Verzweiflungstaten anscheinend Anlaß genug,<br />

Eltern das Erziehungsrecht wegzunehmen und<br />

mit dem vorgeschobenen perfiden Argument, dies geschehe<br />

zum Wohl des Kindes, eine Adoption zu vermitteln.<br />

Der Verdacht solcher politisch motivierter Zwangsadoptionen<br />

erhärtert sich immer mehr. Die beim Berliner<br />

Senator für Jugend eingerichtete Clearingstelle<br />

zur Aufklärung von Einzelschicksalen arbeitet auf<br />

Hochtouren: Rund 50 Anfragen von Eltern und Kin<br />

dern sind bisher eingegangen, in möglicherweise<br />

sechs Fällen liegt dringender Verdacht auf Zwangsadoption<br />

vor.<br />

Ohne wahrscheinlich diese das Wohl des Kindes<br />

und das Recht der Eltern mißachtenden Praktiken in<br />

vollem Umfang zu kennen bzw. kennen zu können,<br />

sind im Einigungsvertrag gleichwohl vorausschauend<br />

Regelungen getroffen worden, die die Möglichkeit<br />

eröffnen, die Adoptionen gerichtlich überprüfen zu<br />

lassen. Maßstab der Überprüfung ist das bisher in den<br />

alten Bundesländern und seit dem 3. Oktober auch in<br />

den neuen Bundesländern geltende BGB. Zuständig<br />

für die Entscheidung ist jeweils das örtliche Vormundschaftsgericht.<br />

Nach dem Einigungsvertrag läuft die Frist zur Stellung<br />

eines Antrags auf Aufhebung der Adoption am<br />

2. Oktober 1991 — also ein Jahr nach der deutschen<br />

Einheit — ab. Inzwischen ist deutlich geworden, daß<br />

auf Grund der sehr unübersichtlichen Aktenlage, des

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