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33. Sitzung - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991 2679<br />

Dr. Uwe Holtz<br />

noch durch ausbleibende Hilfen aus den mittel- und<br />

osteuropäischen Ländern verschärft.<br />

Bei ihren Besuchen in der Bundesrepublik haben<br />

sowohl der ehemalige Präsident Daniel Ortega als<br />

auch die neue Präsidentin Chamorro die Bundesrepublik<br />

um finanzielle und technische Zusammenarbeit<br />

sowie um Schuldenerleichterungen gebeten.<br />

Wir müssen in der Entschuldungsfrage in der Tat<br />

weiterkommen. Dabei sind wir Sozialdemokraten jedoch<br />

nicht für eine pauschale Streichung der Schulden<br />

gegenüber allen Ländern, weil wir nicht wollen,<br />

daß etwa Diktatoren davon dann noch profitieren können.<br />

(Beifall bei der SPD und der FDP)<br />

Im Februar dieses Jahres hatte Hans-Jochen Vogel<br />

der Präsidentin zugesagt, daß die SPD deutsche Hilfsleistungen<br />

an Nicaragua unterstützen werde. Er verwies<br />

auch darauf, daß wir wiederholt die Wiederaufnahme<br />

der vollen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit<br />

gefordert haben; außerdem müsse es in<br />

einer Zeit, in der für den Golfkrieg Milliarden innerhalb<br />

kürzester Zeit bereitgestellt würden, auch möglich<br />

sein, für die Festigung der Demokratie und die<br />

Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Nicaragua<br />

einen maßgeblichen Beitrag zu leisten.<br />

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und<br />

dem Bündnis 90/GRÜNE)<br />

Die Verschuldung Nicaraguas hat, wie in ähnlich<br />

gelagerten Fällen in anderen Entwicklungsländern,<br />

nicht nur wirtschaftliche und finanzielle Bedeutung,<br />

sondern auch eine politische Dimension: Sie gefährdet<br />

die politische Stabilität und die demokratische<br />

Entwicklung und blockiert den sozialen Fortschritt.<br />

Deshalb kommt der Entschuldung eine hohe Bedeutung<br />

zu. Wir vertreten zu dem vor uns liegenden Antrag<br />

folgende Auffassung:<br />

Erstens. Die Regierung des vereinten Deutschlands<br />

kann sich ihrer Verantwortung gegenüber Nicaragua<br />

nicht entziehen. Dies gilt auch für den Bereich der<br />

Entschuldung.<br />

Zweitens. Wir halten es für falsch, bei der Frage der<br />

Verschuldung und dementsprechenden Lösungen<br />

nur von den Schulden auszugehen, die Nicaragua<br />

gegenüber der ehemaligen DDR hat. Hier muß es zu<br />

einer Regelung für die Gesamtschulden kommen.<br />

(Beifall bei der SPD, der FDP, der PDS/Linke<br />

Liste und dem Bündnis 90/GRÜNE)<br />

Drittens. Wir erwarten, daß die Bundesregierung<br />

einen mutigen Schritt nach vorne wagt. Dabei<br />

-<br />

muß sie<br />

wissen: Schulden teilweise oder gar vollständig zu<br />

erlassen ist nicht nur ein Gebot der Solidarität, sondern<br />

oft auch ein Akt der Vernunft.<br />

Eine neue Qualität der Entschuldungsregelungen<br />

ist kürzlich im Falle Polens und Ägyptens gefunden<br />

worden, bei zwei Ländern, die, wie Nicaragua, der<br />

mittleren Einkommensgruppe zuzurechnen sind.<br />

Ausdrücklich haben die Industrieländer — auch die<br />

Bundesrepublik — bei dieser Regelung von politischen<br />

Gründen gesprochen. Leider besteht bei der<br />

Bundesregierung nicht — noch nicht? — die Absicht,<br />

diese Regelung auf andere Länder auszudehnen. Wir<br />

meinen jedoch: Die Beispiele Polens und Ägyptens<br />

sollten in vergleichbaren Fällen Schule machen. Es<br />

gibt gute politische Gründe, die für eine dementsprechende<br />

Entschuldung auch Nicaraguas sprechen.<br />

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und<br />

dem Bündnis 90/GRÜNE)<br />

Viertens. Die notwendige Entschuldung Nicaraguas<br />

sollte mit der Erwartung verbunden werden, daß<br />

Nicaragua zukünftig eine Entwicklungsstrategie verfolgt,<br />

bei der das Kapital produktiver verwandt wird,<br />

die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt<br />

werden und ein sich selbst tragender, menschenwürdiger,<br />

sozialer und ökologisch verträglicher Entwicklungsprozeß<br />

in Gang gesetzt wird.<br />

(Beifall bei der SPD)<br />

In jedem Fall muß die Bevölkerung Nicaraguas vor<br />

einem Rückfall in die Zeiten des Somoza-Regimes<br />

geschützt werden. Die Landreform sollte nicht rückgängig<br />

gemacht werden, und die Alphabetisierung ist<br />

voranzutreiben.<br />

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und<br />

dem Bündnis 90/GRÜNE)<br />

Dementsprechende Strukturanpassungsprogramme<br />

von Internationalem Währungsfonds und Weltbank<br />

dürfen nicht eine wirtschaftliche und monetaristische<br />

Schlagseite haben. Sie müssen die soziale, die<br />

menschliche und die ökologische Dimension mit<br />

sehen.<br />

Ich komme zum Schluß.<br />

Fünftens. Wir warnen davor, Herr Präsident, isoliert<br />

nur Nicaragua als Entschuldungsfall zu sehen, und<br />

fordern die Bundesregierung auf, endlich allgemeine<br />

Regeln für ein innovatives Konzept von Schuldenlösungen<br />

für hochverschuldete Entwicklungsländer<br />

vorzulegen, das dann von Fall zu Fall angewendet<br />

wird.<br />

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.<br />

(Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und<br />

dem Bündnis 90/GRÜNE)<br />

Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und<br />

Herren, jetzt hat das Wort unser Kollege Werner Zywietz.<br />

Werner Zywietz (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen<br />

und Herren! Mir scheint außer Zweifel zu sein,<br />

daß Nicaragua nach den demokratischen Wahlen des<br />

letzten Jahres die Unterstützung der Bundesrepublik<br />

Deutschland und anderer Staaten braucht, damit keimende<br />

Demokratie und keimende ökonomische Entwicklung<br />

in diesen zwischen Nord- und Südamerika<br />

gelegenen sieben Brückenstaaten für die f riedliche<br />

Entwicklung positive Auswirkungen haben. Ich<br />

glaube, insoweit — das könnte ich mir jedenfalls denken<br />

— kann hier im Hause zwischen den wesentlichen<br />

Fraktionen Übereinstimmung bestehen.<br />

(Beifall bei der FDP — Zuruf der Abg.<br />

Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste])<br />

— Zu Ihnen komme ich noch; denn ich muß sagen: Ich<br />

habe mir ein paar Mal Ihren Antrag nachdenklich<br />

angeschaut. Einer doch sehr heuchlerischen und dop-

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