33. Sitzung - Deutscher Bundestag
33. Sitzung - Deutscher Bundestag
33. Sitzung - Deutscher Bundestag
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
2614 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />
Claire Marienfeld<br />
Es ist doch eine herrliche Vorstellung, wo vorher<br />
Kasernen waren, Schulen, Altenwohnungen und Altenheime<br />
zu finden. Das ist eine wunderschöne Vorstellung.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />
Darauf wollen wir uns in den nächsten Wochen konzentrieren.<br />
(Zuruf von der SPD: Das wird auch Zeit! —<br />
Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD]: Wieviel<br />
Rabatt gibt es?)<br />
Wenn wir und vor allem Sie von der SPD dies begreifen,<br />
hat dieser historische Vorgang, nämlich der<br />
Vollzug eines Riesenschrittes in Richtung Frieden in<br />
Europa, den Stellenwert, der ihm gebührt.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />
Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und<br />
Herren, nächste Rednerin ist die Frau Abgeordnete<br />
Jutta Braband.<br />
Jutta Braband (PDS/Linke Liste) : Herr Präsident!<br />
Meine Damen und Herren! Ich möchte hier ausdrücklich<br />
darauf hinweisen, daß ich der Meinung bin, daß<br />
der Mißbrauch des Wortes „Frieden schaffen ohne<br />
Waffen" in diesem Zusammenhang ein starkes Stück<br />
ist.<br />
(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Mit<br />
weniger Waffen!)<br />
Es wäre ja wirklich zu schön, denke ich, wenn er denn<br />
recht hätte, der Herr Wellershoff, und die Deutschen<br />
wären tatsächlich ein machtvergessenes und friedensverwöhntes<br />
Volk. Er hat aber nicht recht, jedenfalls<br />
nicht soweit es das Führungspersonal dieses Volkes<br />
angeht, denn sonst müßten wir uns heute nicht über<br />
ein Stationierungskonzept aus dem Hause Stoltenberg<br />
unterhalten. Die Bundeswehr wäre überhaupt<br />
kein Thema, denn es würde sie nicht mehr oder —<br />
schlechtestenfalls — nur rudimentär geben.<br />
Die Absicht der NATO, schnelle Eingreiftruppen zu<br />
installieren, und der Nichtverzicht auf den Ersteinsatz<br />
von Atomwaffen zeigen deutlich, daß es keineswegs<br />
etwa um einen Willen zu echter Abrüstung geht.<br />
Darum sind alle Gefechte um mögliche Truppenreduzierungen,<br />
Standortschließungen lediglich Scheingefechte,<br />
solange das eigentliche Konzept, mögliche internationale<br />
Konflikte auch mit militärischen Mitteln<br />
lösen zu wollen, nicht geändert wird. Offensichtlich<br />
wird, wie die Debatte der letzten Wochen zeigt, eine<br />
deutsche Beteiligung hieran nachdrücklich angestrebt.<br />
Stoltenbergs Ressortkonzept ist darum eben nicht<br />
mehr und nicht weniger als die Synthese aus der —<br />
machen wir uns nichts vor — vertraglich notwendig<br />
gewordenen Reduzierung des Personalbestandes, der<br />
strategisch notwendigen Anpassung an die Geländegewinne<br />
im Osten und den — allerdings nicht notwendigen,<br />
aber heiß ersehnten — Umstrukturierungsmaßnahmen<br />
zur Erhöhung der Schlagkraft und<br />
weltweiten Einsatzfähigkeit der Bundeswehr.<br />
Daß dabei die Interessen der von Standortauflösung<br />
oder -reduzierung — in diesem Fall muß ich sogar<br />
sagen — betroffenen Städten und Gemeinden unter<br />
den Tisch fallen, daß sie nicht im Vorfeld konsultiert,<br />
sondern vor vollendete Tatsachen gestellt werden,<br />
daß es keine wirklichen Konversionskonzepte und<br />
-regelungen gibt, daß diese nicht einmal angestrebt<br />
werden, daß vielmehr in bekannter Manier gnadenloser<br />
Kahlschlag bet rieben wird, ist ebenso verwerflich<br />
wie kennzeichnend für die Politik dieser Regierung.<br />
Dort, wo sozial und ökologisch verträgliche Konversionskonzepte<br />
angesagt wären, allerdings, so<br />
meine ich, weit über das jetzt anstehende Maß hinaus,<br />
geht die Bundesregierung einen ähnlichen Weg, wie<br />
sie ihn schon bei der Auflösung und Eingliederung der<br />
Nationalen Volksarmee gegangen ist: Abwicklung<br />
einzig und allein auf dem Rücken der Menschen, die<br />
selbst sehen müssen, wie sie zurechtkommen.<br />
Dabei ist es natürlich nicht so, daß es keine sinnvollen,<br />
den Bedürfnissen der Menschen verpflichteten<br />
Konversionskonzepte gäbe oder diese nicht zu entwickeln<br />
wären. Sie liegen vor. Auch einzelne Städte<br />
und Gemeinden haben sich dahin gehend ihre Gedanken<br />
gemacht und sich engagiert. Solche Konzepte<br />
sind aber ebensowenig gewollt wie etwa die Möglichkeit<br />
für jede Bürgerin und jeden Bürger dieses Landes,<br />
über den Einsatz seiner Einkommensteuer für<br />
Militärausgaben selbst zu entscheiden.<br />
Der Grund für diese Verfahrensweise liegt weniger<br />
in der Unfähigkeit oder in besonderer Böswilligkeit<br />
des Herrn Stoltenberg, vielmehr schlicht an der Tatsache,<br />
daß Konversion eben nicht sein Anliegen ist, daß<br />
diese Regierung jeder — und sei es auch eine noch so<br />
kümmerliche — Form von Abrüstung, jeder Form von<br />
Truppenreduzierung, der Reduzierung der Zahl der<br />
Zivilbeschäftigten und der Standortreduzierung nur<br />
höchst widerwillig durch von außen gesetzten Zwang<br />
nachkommt. Folglich kann diese Regierung überhaupt<br />
kein Interesse an echter Konversion entwikkeln.<br />
Ihr das vorzuwerfen, hieße, ihr bessere Absichten<br />
zu unterstellen, als sie eigentlich hat. Insofern hat<br />
der Herr Wellershoff nur das gesagt, was Herr Stoltenberg<br />
vielleicht ändern will.<br />
Im übrigen möchte ich noch ein Wort zu den Damen<br />
und Herren der SPD sagen. Ihre ohne Frage berechtigte<br />
und angemessene Empörung über das Stoltenbergsche<br />
Ressortkonzept und seine absehbaren Folgen<br />
hätten wir uns schon weit früher gewünscht, nämlich<br />
als es um die nicht weniger unsoziale Abwicklung<br />
diverser Institutionen der Ex-DDR ging. Dagegen<br />
werden die Folgen des Ressortkonzepts tatsächlich<br />
nur ein Hauch im Wind sein, ohne daß ich sie damit<br />
verharmlosen will. Ich stelle dabei gewiß auch in<br />
Rechnung, daß Sie es als besondere Gemeinheit des<br />
Herrn Stoltenberg verstehen müssen,<br />
(Ingrid Roitzsch [Quickborn] [CDU/CSU]:<br />
Was heißt hier „Gemeinheit"? Das ist doch<br />
dummes Zeug, was Sie da reden!)<br />
wenn relativ mehr von der SPD als anders regierte<br />
Städte und Gemeinden betroffen sind.<br />
Ich danke Ihnen.<br />
Vizepräsident Helmuth Becker: Nächster Redner ist<br />
der Abgeordnete Jürgen Koppelin.