33. Sitzung - Deutscher Bundestag
33. Sitzung - Deutscher Bundestag
33. Sitzung - Deutscher Bundestag
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991 2671<br />
Dr. Liesel Hartenstein<br />
ter Reinluftgebiete. Seit Jahren ist die Bundesregierung<br />
leider untätig geblieben. Sie hat nichts Entscheidendes<br />
unternommen, um dem Übelstand abzuhelfen.<br />
Dies muß sich endlich ändern.<br />
Nun werden wir gleich von Regierungs- oder Koalitionsseite<br />
sicherlich auf die segensreichen Taten der<br />
Vergangenheit hingewiesen werden, z. B. auf die legendäre<br />
Großfeuerungsanlagen-Verordnung von<br />
1983, die unbestritten die NO X-Emissionen reduziert<br />
hat. Aber dieser Rückgriff, so denke ich, ist insofern<br />
antiquiert, als er die Untätigkeit auf anderen Gebieten<br />
nicht wettmachen kann.<br />
Der Sommer 1991 läßt sich viel Zeit; das ist wahr.<br />
Aber dennoch kann man unschwer die Prophezeiung<br />
wagen: Der nächste Ozonsmog kommt bestimmt.<br />
Hauptverursacher ist der motorisierte Straßenverkehr.<br />
Auf unseren Straßen tummeln sich mittlerweile<br />
rund 32 Millionen Kraftfahrzeuge, und ihre Zahl steigt<br />
ständig an. Sobald eine längere Schönwetterperiode<br />
eintritt, entsteht aus den Stickoxid- und Kohlenwasserstoffemissionen<br />
jene gefährliche Ozonmixtur, die<br />
Gesundheitsschäden hervorruft. Hustenreiz, Augenbrennen,<br />
Atembeschwerden, Kopfschmerzen — das<br />
sind nur einige der krankmachenden Phänomene. Risikogruppen,<br />
wie alte Menschen, Kinder und<br />
Schwangere sind besonders hart davon betroffen.<br />
Seit langem sind diese Zusammenhänge bekannt.<br />
Seit langem werden wirksame Gegenmaßnahmen gefordert,<br />
aber die Schadstoffquellen sprudeln ungehemmt<br />
weiter. Bis heute gibt es eben leider keine verbindlichen<br />
Grenzwerte für Ozonsmog. Es gibt kein<br />
bundeseinheitliches Warnsystem. Es gibt vor allen<br />
Dingen keine Rechtsgrundlage für die Kommunen,<br />
um weiträumige Verkehrsbeschränkungen verhängen<br />
zu können.<br />
Die Bundesregierung hat sich lediglich damit<br />
begnügt, Verhaltensempfehlungen auszusprechen:<br />
Man solle bitte schön ab einer Konzentration von 180<br />
Mikrogramm/m 3 keine körperlichen Anstrengungen<br />
unternehmen, z. B. kein Jogging machen, man solle<br />
Aufenthalte im Freien vermeiden, die Kinder ins Haus<br />
zurückholen. Im letzten Jahr wurde sogar der Rat<br />
gegeben, intensives Atmen zu unterlassen. Liebe Kolleginnen<br />
und Kollegen, soll das etwa heißen, das Atmen<br />
von Zeit zu Zeit einzustellen? Zynischer geht es<br />
nun wirklich nicht mehr. Hier wird das Verursacherprinzip<br />
auf den Kopf gestellt. Statt die Ursachen zu<br />
bekämpfen, werden den potentiell Geschädigten perfide<br />
Ratschläge erteilt. Es ist an der Zeit, endlich zu<br />
handeln und das jährliche Ritual bloßer Ankündigungen<br />
einzustellen.<br />
Unser Antrag enthält ein Bündel konkreter Maßnahmen,<br />
die alle notwendig und auch alle realisierbar<br />
sind. Ich nenne nur die wichtigsten Forderungen. Erstens<br />
soll ein Ozongrenzwert von 120 Mikrogramm/<br />
m3 als Luftqualitätsziel festgelegt werden, entsprechend<br />
der VDI-Richtlinie und den Empfehlungen der<br />
Weltgesundheitsorganisation. Dieser Wert gilt in der<br />
Schweiz ab 1994 als verbindlicher Grenzwert; er darf<br />
höchstenfalls einmal pro Jahr überschritten werden.<br />
Zweitens wird die Bundesregierung aufgefordert,<br />
bis Juli 1992 Maßnahmepläne aufzustellen, aus denen<br />
hervorgeht, wie dieses Luftqualitätsziel bis 1996 erreicht<br />
werden kann. Dazu gehören Konzepte zur<br />
Drosselung des Verkehrsvolumens. Dazu gehören<br />
auch der beschleunigte Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel,<br />
die Einführung einer Entfernungspauschale<br />
anstelle der bisherigen Kilometerpauschale<br />
und nicht zuletzt die Einführung eines Tempolimits<br />
von 120 km/h auf Autobahnen und 90 km/h auf den<br />
übrigen Außerortsstraßen. Allein damit könnten mindestens<br />
130 000 t Stickoxide eingespart werden. Das<br />
sind immerhin 8 % der jährlichen Gesamtverkehrsemissionen.<br />
Es ist höchst bemerkenswert, daß inzwischen sogar<br />
der Arbeitskreis Umwelt der CSU diesem Vorschlag<br />
beigetreten ist<br />
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Sehr guter<br />
Kommentar!)<br />
und im Juli auf dem kleinen Parteitag der CSU in<br />
München einen entsprechenden Antrag einbringen<br />
will. Man darf gespannt sein. Offensichtlich sollte man<br />
die Hoffnung nie aufgeben, daß sich ökologische Einsicht<br />
letztendlich doch durchsetzt, auch in Bayern.<br />
(Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wieso,<br />
Bayern ist doch Vorreiter!)<br />
Meine Damen und Herren, der Verkehrsbereich<br />
nimmt eine Schlüsselstellung bei der Bekämpfung des<br />
Sommersmogs ein. Jährlich werden 2,8 Millionen t<br />
Stickoxidemissionen in die Luft gejagt. Davon gehen<br />
immerhin fast 69 % auf das Konto des Autoverkehrs.<br />
Einer der Hauptgründe dafür ist neben der wachsenden<br />
Zahl der Kraftfahrzeuge die Tatsache, daß<br />
Jahr für Jahr schneller gefahren wird; oder um es<br />
deutlicher zu sagen: daß wieder gerast wird. Knapp<br />
die Hälfte aller Pkw fährt heute schneller als<br />
130 km/h. Jeder siebte Pkw fährt sogar schneller als<br />
150 km/h. Die mittlere Lkw-Geschwindigkeit liegt<br />
heute bereits bei 87,3 km/h, obwohl für Lastwagen<br />
bekanntlich ein Tempolimit von 80 km/h gilt. Ich<br />
denke, in diesem Zusammenhang sollte man doch<br />
daran denken, einen Geschwindigkeitsregler für Lkw<br />
einzuführen. Das wäre eine nützliche Angelegenheit.<br />
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und beim<br />
Bündnis 90/GRÜNE)<br />
Auch die Unfallsituation hat sich auf den Autobahnen<br />
leider verschärft. Die Zahl der Verkehrstoten auf<br />
den Autobahnen ist im letzten Jahr um sage und<br />
schreibe 20,3 % angestiegen. Das ist eine traurige Bilanz;<br />
um so mehr, als die Zahl der Verkehrstoten auf<br />
den übrigen Straßen unseres Landes glücklicherweise<br />
zurückgegangen ist.<br />
Als weitere Maßnahmen sind die Einführung von<br />
Höchstverbrauchswerten für alle Kraftfahrzeugtypen<br />
und eine Zielvorgabe, wonach bis zum Jahre 2000 der<br />
Durchschnittsverbrauch der gesamten neu verkauften<br />
Flotte höchstens fünf Liter pro 100 Kilometer betragen<br />
soll, noch zu nennen. Dies ist realistisch und wird auch<br />
von der Automobilindustrie als machbar bestätigt.<br />
Schließlich sollte die lange angekündigte, aber nie<br />
erlassene Verordnung zur Einführung des Gaspendelverfahrens<br />
endlich kommen. Die Schweiz hat dieses<br />
Systems bereits obligatorisch eingeführt, und auch in