33. Sitzung - Deutscher Bundestag
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2658 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />
Gabriele Iwersen<br />
Eine andere Gefahr liegt auf der Hand: Die VOB<br />
— Verdingungsordnung für das Baugewerbe —, die<br />
nach unserem Wunsch weiterhin Grundlage der öffentlichen<br />
Vergabe bleiben soll, sieht die getrennte<br />
Ausschreibung und Vergabe nach Gewerken vor, so<br />
daß jedes Fachlos an einen anderen mittelständischen<br />
Handwerksbetrieb mit all seiner fachlichen Spezialerfahrung<br />
vergeben werden kann. Hier liegt die Marktchance<br />
für die Handwerksbetriebe. Muß aber eine<br />
ausschreibende Stelle, sagen wir das Bauamt einer<br />
mittleren Kommune am Rande unserer Republik, bei<br />
jedem Fachlos Klagen von nicht berücksichtigten Bietern<br />
aus halb Europa erwarten, wird sie zur eigenen<br />
Absicherung auf die Einzelausschreibungen der Gewerke<br />
verzichten und sich lieber einen Generalübernehmer<br />
suchen, damit der Verwaltungsaufwand und<br />
das Prozeßrisiko kleiner werden. Schon werden die<br />
kleineren Betriebe höchstens noch als Subunternehmer<br />
an öffentlichen Aufträgen beteiligt werden, und<br />
das soll verhindert werden.<br />
Im Gegenteil, wir müssen den einzelnen Regionen<br />
die besondere Fachkunde und Erfahrung der Handwerksbetriebe<br />
gerade in regionaltypischen Bauweisen<br />
erhalten.<br />
(Beifall bei der SPD)<br />
Ich komme aus einer Region, in der der Regen zuweilen<br />
waagerecht fällt oder besser weht und durch alle<br />
nur denkbaren feinsten Ritzen und Haarrisse in das<br />
Mauerwerk eindringt. Darüber hinaus drückt der<br />
Wind das Wasser auch aufwärts oder um die Ecken<br />
herum. Die Details, mit denen der ständige Kampf<br />
gegen dieses Element ausgefochten wird, sind auf<br />
dem Papier wunderbar darstellbar. Aber nur ein Maurer,<br />
Klempner oder Tischler, der diese Gemeinheiten<br />
des Wetters kennt, weiß, weshalb hier so unwahrscheinlich<br />
pingelig gearbeitet werden muß.<br />
Das ist hier kein Versuch, wieder über die Fachkunde<br />
Grenzen zu ziehen, sondern ein Hinweis darauf,<br />
daß wir eine Ausschreibungsart erhalten müssen,<br />
die es uns ermöglicht, auch kleinere Betriebe mit besonderen<br />
Erfahrungen — z. B. mit Erfahrungen im<br />
Bauen direkt an der Küste — zu beauftragen.<br />
(Beifall bei der SPD)<br />
Dies kann bestimmt ein Holländer genausogut wie<br />
ein <strong>Deutscher</strong> oder ein Däne; aber ein Bonner hat da<br />
vielleicht nicht die notwendige Phantasie, um sich<br />
auch nur annähernd vorzustellen, wie die Probleme<br />
anderswo vor Ort aussehen. Auch in Brüssel glaubt<br />
man offensichtlich, alle Probleme allein durch Juristen<br />
lösen zu können. Da irrt die Kommission jedoch. Zumindest<br />
irrt der eine, der als treibende Kraft - dahintersteht.<br />
Wir wollen kein Europa der Juristen, sondern ein<br />
Europa der Regionen, die zwar nicht durch nationale<br />
Grenzen zusätzlich zerschnitten sind, die sich aber<br />
sehr wohl voneinander unterscheiden. Wenn mein<br />
europäisches Haus an der Küste nun einmal ein zweischaliges<br />
Mauerwerk braucht, möchte ich nicht den<br />
Bau dadurch um ein Jahr verzögert haben, daß ein<br />
Konzern mit eigener Rechtsabteilung und einschlägiger<br />
Erfahrung im erdbebensicheren Bauen von Tiefgaragen<br />
und Parkhochhäusern vor einem Gericht im<br />
„finstersten Binnenland" einen Prozeß gegen das aus<br />
schreibende Bauamt führt, weil er die Vergabe als<br />
Diskriminierung der Alpenvorlandbewohner entlarvt<br />
hat.<br />
In Deutschland haben wir sehr gute Erfahrungen<br />
mit der VOB gemacht und wollen diese auch weiterhin<br />
nutzen, damit die öffentlichen Aufträge auch weiterhin<br />
von den mittelständischen Handwerksbetrieben<br />
ausgeführt werden können, falls diese neben ihrer<br />
besonderen Fachkunde auch konkurrenzfähige<br />
Preise angeboten haben.<br />
Wir sind nicht daran interessiert, Vergaben durch<br />
Juristen abwickeln zu lassen, sondern betrachten das<br />
Vergabewesen immer noch als einen Teilbereich des<br />
Bauwesens und wehren uns deshalb mit allen Mitteln<br />
gegen ein Vergabegesetz, in dem die Verantwortung<br />
auf Juristen verlagert wird.<br />
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten<br />
der CDU/CSU)<br />
Diese Ansicht vertreten Fachleute des Baugewerbes,<br />
der öffentlichen Verwaltung von Bund, Ländern<br />
und Kommunen sowie das Parlament und der Bundesrat.<br />
Mehr an demokratischer Legitimation ist nicht<br />
möglich. Das sollten auch die Beamten in Brüssel und<br />
in Bonn zur Kenntnis nehmen; denn sie haben kein<br />
politisches Mandat, sondern sollen politischen Willen<br />
in problemlos anwendbare Richtlinien oder Gesetze<br />
umsetzen. Oder sollte die treibende Kraft vielleicht<br />
doch ein politischer Beamter sein? Dann sollte er sich<br />
doch der Ansicht seiner Parteifreunde anschließen;<br />
denn dieser Antrag hier ist, wie Sie der Drucksache<br />
entnehmen können, von allen größeren Parteien getragen.<br />
Zu irgendeiner dieser Parteien müßte sich ja<br />
auch dieser politische Beamte zugehörig fühlen. —<br />
Diese Bemerkung bezieht sich selbstverständlich<br />
nicht auf rein zufällig anwesende Personen.<br />
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der<br />
PDS/Linke Liste)<br />
Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Abgeordnete<br />
Dr. Heinrich Leonhard Kolb.<br />
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Präsident! Meine<br />
Damen und Herren! Wie bereits bei den Kollegen<br />
Frau Iwersen und Herrn Dr. Schwörer angeklungen,<br />
bietet uns der heute hier zu behandelnde interfraktionelle<br />
Antrag die, wie ich finde, insgesamt nicht allzu<br />
häufig gegebene Möglichkeit, quer durch die Fraktionen<br />
und, wie ich vermute, auch durch die Gruppen,<br />
Einigkeit in einer wichtigen Sachfrage zu demonstrieren.<br />
Bei dem Thema, um das es hier geht, halte ich das<br />
allerdings auch für durchaus angemessen.<br />
Es ist nicht das erste Mal, daß wir uns mit diesem<br />
Problembereich des öffentlichen Auftragswesens beschäftigen<br />
müssen.<br />
Der <strong>Bundestag</strong> hatte vielmehr in der Vergangenheit<br />
bereits mehrfach Gelegenheit, sich mit der Thematik<br />
der Gestaltung und Umsetzung von EG -Richtlinien<br />
und deren Auswirkungen auf das deutsche Vergabewesen<br />
zu befassen.<br />
Auch damals schon herrschte Einigkeit zwischen<br />
den Fraktionen. Damals wie heute ging es um die