33. Sitzung - Deutscher Bundestag
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2622 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />
Bundesminister Dr. Gerhard Stoltenberg<br />
Also, Herr Müller, mäßigen Sie sich vor dem Hintergrund<br />
dieser Debatten. Sie gehören auch zu denen,<br />
die mit massiver Emotionalität die Übungen der Luftwaffe<br />
vor zwei, drei Jahren in ihrem Heimatland bekämpft<br />
haben und heute erklären, die Luftwaffe<br />
müsse hierbleiben.<br />
(Zuruf von der CDU/CSU: Tiefflug kommt<br />
von Tiefflieger, Herr Müller!)<br />
Die Soldaten müssen als Mitbürger in ihrer Verantwortung<br />
ernstgenommen und nicht plötzlich als Wirtschaftsfaktor<br />
entdeckt werden, wenn man über sie<br />
redet.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />
Wir haben dieses Angebot zur Diskussion mit den<br />
Ländern, den kommunalen Spitzenverbänden und allen<br />
anderen Interessierten gemacht, und wir spüren,<br />
daß es von vielen ernstgenommen wird. Es ist auch<br />
möglich — ich habe dies heute im Ausschuß gesagt<br />
—, wenn wir die abschließenden Entscheidungen<br />
für diesen Bereich im August treffen, noch Stellungnahmen<br />
bis gegen Ende Juli in die Schlußwürdigung<br />
einzubeziehen. Aber dann muß entschieden<br />
werden. Herr Kollege Nolting hat als letzter überzeugend<br />
die Gründe genannt, warum wir das nicht immer<br />
weiter verschleppen dürfen.<br />
Man muß auch den jetzigen Diskussionsprozeß in<br />
vier Stufen der Entscheidungsfindung über eine<br />
grundlegende Reform der Bundeswehr sehen.<br />
Wir haben nach sorgfältiger Beratung über eine<br />
drastische Straffung und Vereinfachung der Führungsorganisation<br />
der Kommandobehörden der Bundeswehr<br />
entschieden. Wir sind jetzt im Entscheidungsprozeß<br />
über die Stationierung der Soldaten und<br />
die Standorte für die zivilen Mitarbeiter in den Streitkräften.<br />
Wir wollen im September — ich habe das<br />
heute im Ausschuß ausführlicher vorgetragen — dann<br />
ein grundlegendes Reformkonzept vorlegen, natürlich<br />
auch mit einer notwendigen Rückführung für fast<br />
100 000 Mitarbeiter allein in Westdeutschland bei der<br />
übrigen Bundeswehrverwaltung und im Bereich der<br />
technischen Einrichtungen, der sogenannten Rüstungsorganisation.<br />
Das kann man auch nicht alles<br />
übers Knie brechen; denn hier geht es um zwei Dinge:<br />
die vielbeschworene, von uns ernstgenommene Verantwortung<br />
für die Menschen, aber auch um eine für<br />
die Aufgaben der Bundeswehr sinnvolle Zukunftsorganisation.<br />
Ich will einmal im Deutschen <strong>Bundestag</strong> sagen, daß<br />
hier in einer ungewöhnlich engagierten Weise gearbeitet<br />
wird, daß die Belastung für diejenigen, die die<br />
Hauptarbeit leisten, an die Grenze dessen geht, was<br />
man ihnen zumuten kann.<br />
(Albrecht Müller [Pleisweiler] [SPD]: Wieviel<br />
arbeiten denn daran?)<br />
— Alles in allem geht es in die Tausende, wenn wir die<br />
Rückkopplungen in die Kommandobereiche und Verwaltungen<br />
sehen, und im Ministerium sind es sicher<br />
auch weit über tausend.<br />
Herr Kollege Müller, es gibt natürlich auch noch<br />
andere Aufgaben. Seit dem 3. Oktober stehen wir vor<br />
der Aufgabe, die alten Strukturen der NVA aufzulösen<br />
und mit dem Aufbau der neuen Bundeswehr zu<br />
beginnen. Wir haben die Aufgabe, uns an den internationalen<br />
Diskussionen über die neue Konzeption<br />
des Bündnisses über Rüstungskontrolle und Reform<br />
zu beteiligen.<br />
Insofern ist das eine große Zeit der Gestaltung, bei<br />
der wir in der Tat vor dem, was an tiefgreifenden<br />
Änderungen kommt, die Verantwortung für die Menschen<br />
zu beachten haben, hier für die Soldaten und<br />
zivilen Mitarbeiter. Ich hoffe, daß wir so zu tragfähigen<br />
Ergebnissen kommen, die der Zukunft und den<br />
Betroffenen gerecht werden.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />
Vizepräsident Helmut Becker: Meine Damen und<br />
Herren, nächste Rednerin ist Frau Kollegin B rigitte<br />
Schulte.<br />
Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): Herr Präsident!<br />
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Stoltenberg,<br />
es ist schon erstaunlich, was Sie zu Ihrem Konzept<br />
heute vorgetragen haben. Wir haben dieses<br />
große Werk ja unvollständig erhalten, und in der militärischen<br />
Konzeption ist es auch für den Fachmann<br />
nicht durchschaubar. Sie hatten es ja nicht nötig, uns<br />
vorher zu erklären, warum denn im Jahre 1995 der<br />
Umfang des Heeres mit 255 400, der Luftwaffe mit<br />
82 400 und der Marine mit 32 200 Soldaten der Stein<br />
der Weisen ist.<br />
Im Gegenteil, allen Angeboten der SPD-Opposition<br />
entgegen haben Sie mit uns kein Gesamtkonzept über<br />
moderne Streitkräfte erarbeitet. Ich habe immer den<br />
Verdacht — auch die Soldaten empfinden das inzwischen<br />
draußen so —, daß diese Bundesregierung die<br />
Bundeswehr als ihre Privatarmee versteht und nicht<br />
als Gesamtaufgabe der Gesellschaft.<br />
(Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/<br />
CSU: Das sagen Sie! — Weitere Zurufe von<br />
der CDU/CSU)<br />
Bei einer solchen Haltung konnten Sie auch nicht erwarten,<br />
daß die Regierungschefs Ihnen ernsthaft auf<br />
das vorgelegte Konzept eine Antwort geben konnten.<br />
Das haben doch nicht einmal die CDU- und CSUgeführten<br />
Länder getan.<br />
(Zuruf von der SPD: Das ist die Wahrheit! —<br />
Zuruf von der FDP: Herr Schäfer, Niedersachsen!)<br />
Meiner Meinung nach haben Sie in diesem riesigen<br />
Konzept selber zugeben müssen, daß es unvollständig<br />
ist, weil, als Sie es am 24. Mai vorlegten — Herr<br />
Stockhausen, Sie hätten es sich ansehen sollen —,<br />
(Karl Stockhausen [CDU/CSU]: Ich habe es<br />
angeguckt!)<br />
noch immer kein Niederschlag der zivilen Mitarbeiter<br />
drin war. Was Sie uns heute über die zivilen Mitarbeiter<br />
geboten haben, ist unvollständig, ist wieder<br />
eine Täuschung der Bevölkerung und erlaubt es wieder<br />
nicht, den Flächenlandministerpräsidenten eine<br />
entsprechende Antwort zu geben.