33. Sitzung - Deutscher Bundestag
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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991 2701*<br />
Nichtauffindens von Personenstandsbüchern, der erst<br />
im Aufbau sich befindenden Gerichte und damit der<br />
Schwierigkeiten, das zuständige Gericht zu finden,<br />
diese Frist nicht ausreicht. Um jegliche Rechtsunsicherheiten<br />
zu vermeiden, ist deshalb diese Frist auf<br />
mindestens drei Jahre zu verlängern.<br />
Dies ist die nüchterne rechtliche Betrachtungsweise.<br />
Viel schwerer wiegen die großen menschlichen<br />
Probleme. Durch die Zwangsadoptionen ist zwischen<br />
adoptiertem Kind und der annehmenden Familie eine<br />
über viele Jahre gewachsene Familienbindung entstanden,<br />
eine Eingewöhnung in das neue soziale Umfeld<br />
erfolgt und damit auch eine subjektive Identifikation<br />
mit den Adoptiveltern. Die Bindung zu den leiblichen<br />
Eltern ist sehr locker geworden, wenn nicht<br />
sogar in vielen Fällen abhängig vom Zeitablauf vollkommen<br />
abgerissen. Wunden werden mit einer Überprüfung<br />
wieder neu aufbrechen, im Vordergrund bei<br />
einer Überprüfung eines fehlerhaft begründeten Annahmeverhältnisses<br />
muß das Kindeswohl stehen. Aus<br />
diesen Gründen sollte die Antragsfrist nicht generell<br />
aufgehoben, sondern auf eine angemessene Frist verlängert<br />
werden.<br />
Dieses den leiblichen Eltern und dem Kind zugefügte<br />
Leid, die Zerstörung von Familienbanden und<br />
damit möglicherweise die Zerstörung von Lebensglück<br />
und einer glücklichen, zufriedenen Kindheit<br />
können weder rückgängig noch wiedergutgemacht<br />
werden. An diesem Beispiel offenbart sich die Unmenschlichkeit<br />
des früheren SED-Regimes.<br />
Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Die Aufhebung<br />
von Adoptionen, die unberechtigt, gegen den Willen<br />
der Eltern vorgenommen wurden, berührt sowohl die<br />
Identitiät als auch die elementarsten familiären Bindungen<br />
von Menschen. Wenn es gilt, zugunsten der<br />
Wahrung und Wiederherstellung individueller Identität<br />
und familiärer Bindung von Adoptierten eine Kurzschlüssigkeit<br />
des Einigungsvertrages zu beseitigen,<br />
dann sollten wir das tun und die dort gesetzte Frist<br />
aufheben. Allerdings sollten wir dafür Sorge tragen,<br />
daß die Lösung dieser zutiefst mit menschlichen Konflikten<br />
beladenen Situation für die Betroffenen nicht<br />
zum kaukasischen Kreidekreis wird.<br />
Meiner Ansicht nach ist es notwendig, die Interessen<br />
und Wünsche aller betroffenen Menschen angemessen<br />
zu berücksichtigen:<br />
Erstens sollten die leiblichen Eltern in jedem Fall —<br />
auch wenn sie es bisher versäumt haben, einen solchen<br />
Antrag zu stellen — die Möglichkeit - erhalten,<br />
über den bisherigen Termin hinaus ihre Elternrechte<br />
geltend zu machen.<br />
Zweitens sollten Adoptierte unabhängig von ihrem<br />
Alter nicht als bloße Rechtsobjekte behandelt, sondern<br />
nach ihren Wünschen befragt werden, welcher<br />
Familie sie sich verbunden fühlen und in welcher Familie<br />
sie fortan leben wollen. Es geht mir darum, vor<br />
allem Kinder und Jugendliche, die bei ihren Adoptiveltern<br />
feste soziale Verwurzelungen gefunden haben,<br />
nicht gegen ihren Willen aus diesen Familien herauszulösen<br />
und in tiefste psychische Konflikte zu stürzen.<br />
Drittens sollten die Interessen der Adoptiveltern<br />
nicht außen vor bleiben. Diese ursprünglich kinderlosen<br />
Paare haben in der berechtigten Hoffnung, mit<br />
einem Kind leben zu können, den Antrag auf Annahme<br />
eines Kindes gestellt. Da ihrem Handeln (in<br />
der Regel) zutiefst humanistische Motive zugrunde<br />
liegen und sie keinen Einblick in die soziale Situation<br />
des zu adoptierenden Kindes hatten, müssen ihre Interessen<br />
ohne jegliche Form der Kriminalisierung<br />
ebenso respektiert werden. Sie dürfen jetzt nicht für<br />
ihr humanes Handeln bestraft werden.<br />
Um begründet über diese vielschichtigen Zusammenhänge<br />
urteilen zu können, fordere ich namens<br />
der PDS/Linke Liste von der Bundesregierung zum<br />
schnellstmöglichen Termin einen Be richt über die Anzahl,<br />
die konkreten Ursachen und Umstände der<br />
staatlich vorgenommenen Adoptionen in der ehemaligen<br />
DDR sowie hinsichtlich der vorliegenden Anträge<br />
auf Aufhebung von Adoptionen.<br />
Rainer Funke, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi<br />
nister der Justiz: Jeder von uns war erschrocken, als<br />
wir Gewißheit bekamen, daß die SED-Machthaber<br />
selbst vor der persönlichsten Beziehung, die sich denken<br />
läßt, nicht haltgemacht haben: der Eltern-Kind-<br />
Beziehung. Mitte der 70er Jahre erreichten uns Berichte,<br />
daß man politisch mißliebigen Eltern die Kinder<br />
weggenommen hatte. Als Vorwand reichte aus,<br />
daß die Eltern die DDR zu verlassen und damit dem<br />
Unrecht zu entkommen suchten. Über die Kinder<br />
wurde bürokratisch entschieden. Sie mußten sich mit<br />
fremden Adoptiveltern abfinden, die sie nicht ausgesucht<br />
hatten und die sie nicht wollten.<br />
Genaueres über diese menschenverachtende Praxis<br />
ließ sich nicht feststellen. Die Verantwortlichen in der<br />
DDR verweigerten jede Auskunft und stellten<br />
Zwangsadoptionen entrüstet in Abrede. Selbst die<br />
Machthaber der SED hatten ein schlechtes Gewissen.<br />
Wir haben diesen Beteuerungen niemals geglaubt<br />
und deshalb in den Einigungsvertrag eine Regelung<br />
der Zwangsadoption aufgenommen. Jetzt sind neue<br />
Fälle ans Licht gekommen. Leider machen wir überall<br />
die gleiche traurige Erfahrung: Das ganze Ausmaß<br />
des Unrechts wird erst jetzt offenbar. Unsere Befürchtungen<br />
werden durch die Wirklichkeit regelmäßig<br />
noch übertroffen.<br />
Es ist deshalb gar keine Frage, daß wir die Jahresfrist<br />
des Einigungsvertrages verlängern müssen. Im<br />
Bundesministerium der Justiz liegt bereits ein ausformulierter<br />
Gesetzesvorschlag vor, den ich in den nächsten<br />
Tagen in der Koalition abstimmen werde. Der<br />
Entwurf schlägt vor, die Antragsfrist des Einigungsvertrages<br />
um zwei auf drei Jahre zu verlängern. Diese<br />
Verlängerung gibt den Eltern genügend Zeit.<br />
Eine generelle Aufhebung der Frist würde nicht nur<br />
über dieses Ziel hinausschießen. Sie wäre auch mit<br />
den Grundgedanken unseres Adoptionsrechts kaum<br />
zu vereinbaren. Jede Adoption — auch die fehlerhafte,<br />
gegen elementare Elternrechte verstoßende —<br />
begründet ein Eltern-Kind-Verhältnis, das sich im<br />
Laufe der Zeit zur gelebten Familie verdichtet. Diesen<br />
Gegebenheiten trägt das geltende, „normale" Adoptionsrecht<br />
mit einer dreijährigen Ausschlußfrist Rech-