33. Sitzung - Deutscher Bundestag
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2698* <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />
den dürfen. Heute will sie sich ihrer Verantwortung<br />
entziehen.<br />
Vor diesem Hintergrund ist es schon bezeichnend,<br />
daß der Antrag für die Aktuelle Stunde von der PDS<br />
und nicht von der SPD gestellt worden ist.<br />
Wie immer man zu Fragen der friedlichen Nutzung<br />
der Kernenergie stehen mag: Das Problem der Entsorgung<br />
radioaktiver Abfälle aus unseren Anlagen ist zu<br />
lösen. Dies ist unser gesetzlicher Auftrag, nicht nur<br />
des Bundes, sondern auch der Länder. Hierzu gehört<br />
auch die Lösung der Entsorgung des deutschen Verursachern<br />
zuzuordnenden Abfalls aus Mol. Ich werde<br />
die Niedersächsische Landesregierung aus ihrer<br />
Pflicht nicht entlassen und, wenn es sein muß, auch<br />
künftig durch bundesaufsichtliche Weisung zu deren<br />
Erfüllung anhalten.<br />
Ich fordere die Niedersächsische Landesregierung<br />
auf, endlich das Recht über die Koalitionsvereinbarung<br />
zu setzen und ihren verantwortungslosen Umgang<br />
mit rechtsstaatlichen Grundsätzen aufzugeben.<br />
Wir müssen einen politischen Konsens in der Entsorgungsfrage<br />
finden. Der Staatssekretärs-Ausschuß,<br />
der hierzu auf Initiative der Bundesregierung und<br />
Nordrhein-Westfalens eingesetzt worden ist und bereits<br />
gute Arbeit geleistet hat, ist hierfür der richtige<br />
Weg. Auf diesem Weg sollten wir fortfahren.<br />
Anlage 6<br />
Zu Protokoll gegebene Reden<br />
zu Tagesordnungspunkt 9 — Antrag betr. Fristver<br />
längerung zur Antragstellung auf Aufhebung von<br />
Zwangsadoptionen —<br />
Hannelore Rönsch, Bundesministerin für Familie<br />
und Senioren: Die jüngst aufgefundenen Akten über<br />
Zwangsadoptionen sowie erste öffentliche Stellungnahmen<br />
von Betroffenen haben ein erschütterndes<br />
Kapitel der Unmenschlichkeit der SED-Herrschaft in<br />
der ehemaligen DDR offenbart. Das ganze menschliche<br />
und rechtliche Ausmaß dieser Adoptionspraxis,<br />
die zwangsweise vollständige Familien auseinander<br />
gerissen hat, läßt sich noch nicht übersehen. Der demokratische<br />
Rechtsstaat, wir politisch Verantwortlichen<br />
dürfen und wollen über diese Mißachtung der<br />
Menschenwürde und insbesondere des Elternrechts<br />
nicht hinweggehen.<br />
-<br />
Dieser tiefe Eingriff in die natürlichen Rechte der<br />
Familie, in das Zusammenleben von Eltern mit ihren<br />
Kindern drängt mich als Familienministerin, mitzuhelfen,<br />
daß das bittere Unrecht wiedergutgemacht<br />
werden kann. Wir müssen hierbei allen Beteiligten<br />
gerecht werden: den Eltern, die ihre Kinder verloren<br />
haben, den Kindern, die zwangsvermittelt wurden,<br />
und den die Kinder annehmenden Eltern. In vielen<br />
Fällen sind die Beteiligten auch die Opfer.<br />
Gemäß dem Einigungsvertrag kann die Aufhebung<br />
der Adoptionen ohne die sonst erforderliche Einwilligung<br />
der Beteiligten innerhalb eines Jahres, also bis<br />
zum 2. Oktober 1991, beantragt werden. Nach dem,<br />
was wir bisher wissen, wird diese Einjahresfrist in der<br />
Regel nicht einzuhalten sein. Denn es hängt nicht nur<br />
von dem Willen der Betroffenen ab, eine Änderung<br />
anzustreben; vielmehr fehlt es häufig an den tatsächlichen<br />
Voraussetzungen.<br />
Zum einen müssen wir in jedem Einzelfall prüfen,<br />
ob tatsächlich eine unrechtmäßige Zwangsadoption<br />
vorliegt oder ob — angesichts der vorgefundenen sozialen<br />
und familiären Verhältnisse — auch bundesdeutsches<br />
Recht dem Verbleib des Kindes bei seinen<br />
leiblichen Eltern widersprochen hätte. Zugleich muß<br />
mit Eltern gerechnet werden, die im nachhinein bedauern,<br />
früher einer Adoption zugestimmt zu haben,<br />
jetzt also die Gunst der Stunde nutzen wollen, um<br />
ihren Schritt rückgängig zu machen.<br />
Die Überprüfung jedes beantragten Einzelfalls muß<br />
unser Ziel sein, nicht etwa die generelle Aufhebung<br />
aller, auch der in unserem Sinne rechtmäßigen Adoptionen.<br />
Daher dürfen den wirklich Betroffenen keine<br />
bürokratisch unüberwindbaren Hürden auferlegt<br />
werden. Dazu gehören die F rist des 2. Oktober und<br />
auch die Vorgabe, wonach Anträge nur vom jeweils<br />
zuständigen Vormundschaftsgericht entgegengenommen<br />
werden. Es wird also entscheidend auf die<br />
Mithilfe der Jugendämter ankommen. Hier jedoch<br />
sind möglicherweise noch Angestellte tätig, die an<br />
Zwangsadoptionen selbst mitgewirkt haben. Außerdem<br />
ist nicht sicher, ob die Vormundschaftsgerichte<br />
schon wieder vollständig und funktionstüchtig eingerichtet<br />
sind.<br />
Um den gesamten Problemkreis einmal umfassend<br />
und gründlich aufzuarbeiten, werde ich im Spätsommer<br />
hierzu eine Fachkonferenz in Ber lin mit Vertretern<br />
der Bundes- und Landesro essrts sowie mit Experten<br />
aus der Wissenschaft und den Fachorganisationen<br />
durchführen. Die Tagung mit einem begrenzten Teilnehmerkreis<br />
soll dazu dienen, die Probleme transparent<br />
zu machen und — wenn möglich — auch Lösungsmöglichkeiten<br />
aufzuzeigen, die den zuständigen<br />
Behörden und Ge richten eine Hilfe sein können.<br />
Unabhängig davon unterstütze ich intensiv den vorliegenden<br />
Antrag, die F rist des Art. 234 § 13 EGBGB<br />
mindestens zu verlängern, wenn nicht gänzlich aufzuheben.<br />
Unser Bemühen muß darin liegen, eine Brücke zwischen<br />
allen Beteiligten, den leiblichen Eltern, den<br />
Adoptiveltern und den betroffenen Kindern zu schlagen.<br />
Wir werden ihnen allen Gerechtigkeit nur widerfahren<br />
lassen können, wenn wir die bekanntgewordenen<br />
Fälle und die, die noch bekannt werden können,<br />
äußerst behutsam behandeln. Hier sind Familien in<br />
ihren existentiellen Rechten betroffen. Wir müssen<br />
ihnen als Staat — hier stehen wir in der Verpflichtung<br />
unseres Grundgesetzes — Genugtuung verschaffen<br />
und ihnen zu ihrem Recht verhelfen.<br />
Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Wenn sich heute<br />
der Deutsche <strong>Bundestag</strong> mit dem Thema der Zwangsadoption<br />
in der ehemaligen DDR beschäftigen muß,<br />
dann zeigt das deutlich, wie notwendig es ist, die Aufarbeitung<br />
von 40 Jahren DDR zu forcieren.