21.01.2014 Aufrufe

33. Sitzung - Deutscher Bundestag

33. Sitzung - Deutscher Bundestag

33. Sitzung - Deutscher Bundestag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991 2637<br />

Horst Peter (Kassel)<br />

klarzumachen, daß Bürgerinnen und Bürger Anspruch<br />

auf angemessene Behandlung haben.<br />

(Beifall bei allen Fraktionen)<br />

Da also die Petition in der dargestellten Form notwendig<br />

wurde, wäre das zuständige Arbeitsamt gut beraten,<br />

einmal ein Verhältnis zu den Bürgerinnen und<br />

Bürgern, die Anliegen vorbringen, zu überprüfen.<br />

(Zuruf von der SPD: Sehr wahr!)<br />

Die vielen Eingaben zur Gesetzgebung oder auch<br />

die Eingaben gegen staatliche Großprojekte, einzeln<br />

oder in Gemeinschaft mit anderen, insbesondere die<br />

vielen Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern aus<br />

den neuen Bundesländern, tragen ihre politische<br />

Reichweite in sich.<br />

Ich will im folgenden eine Eingabe darstellen, bei<br />

der sich die politische Reichweite im Verlauf der Behandlung<br />

erst erschloß. Es geht um die Eingabe eines<br />

Chemiearbeiters, der als Mitarbeiter der BASF Ludwigshafen<br />

im November 1953 bei einem Betriebsunfall<br />

durch ausströmende Halogenwasserstoffe — Dioxine<br />

sind damit gemeint — eine Vergiftung erlitt.<br />

Wegen der unmittelbaren gesundheitlichen Schädigungen<br />

erhielt er von der Berufsgenossenschaft Chemie<br />

eine Unfallrentenleistung. Im März wurde die<br />

Rente nicht mehr gewährt, da die Berufsgenossenschaft<br />

Chemie nach den gutachtlichen Stellungnahmen<br />

der damaligen Werksärztin des Unfallbetriebs<br />

eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit<br />

nicht mehr als gegeben ansah. Man beachte:<br />

Der Werksärztin des Unfallbetriebs!<br />

Von diesem Zeitpunkt an kämpfte der Petent um<br />

seine Unfallrente. 1985 wandte er sich erstmals an den<br />

Petitionsausschuß wegen Anerkennung seiner sich<br />

verschlechternden Krankheitsbefunde als Berufskrankheit<br />

— vergeblich, da die Gutachter eine Kausalität<br />

zwischen der Dioxinexposition und den Krankheitsbefunden<br />

nicht als gegeben ansahen.<br />

1987 kam es zu einer erneuten Petition, diesmal<br />

wegen einer rückwirkenden Rentenzahlung ab 1955,<br />

dem Zeitpunkt des Rentenentzugs, für die im März<br />

1987 gewährte Minderung der Erwerbsfähigkeit von<br />

20 % und einer Erhöhung seines MdE-Prozentsatzes.<br />

Inzwischen war die Einschätzung von krankheitsverursachenden<br />

Auswirkungen von Dioxin in der Wissenschaft<br />

weiter vorangeschritten.<br />

Hier sind wir am Beginn der Ausweitung der Eingabe,<br />

hin zur politischen Reichweite für den Berichterstatter.<br />

Wir haben im Ausschuß insgesamt drei Anhörungen<br />

gemacht. Wir haben in der Auseinandersetzung<br />

mit der Berufsgenossenschaft, durch Einschaltung<br />

von Experten, durch Anhörung von Vertretern<br />

der Bundesregierung, durch Einschaltung des Bundesversicherungsamtes,<br />

durch Einladung von alternativen<br />

Experten, durch die Bemühung, eine Einigung<br />

mit dem Geschäftsführer der Berufsgenossenschaft<br />

Chemie herbeizuführen, versucht, dem prinzipiell<br />

schwächeren Teil — die Beweislast liegt nicht bei der<br />

Berufsgenossenschaft, sondern bei dem Petenten als<br />

dem betroffenen Versicherten — , also dem Petenten,<br />

zu seinem Recht zu verhelfen.<br />

Dabei stellte sich — das ist die Dimension für die<br />

Gesetzgebung — heraus, daß § 44 Abs. 4 des SGB X<br />

ein überwindbares Hindernis für eine weitere Rückwirkung<br />

der Petition war. Ich meine, wir haben den<br />

vielen Fällen nachzugehen, bei denen es nicht um<br />

zuviel oder zuwenig gezahlte Renten, sondern darum<br />

geht, anzuerkennen, daß jemand wegen eines Berufsunfalls<br />

vom Zeitpunkt des Eintretens dieses Unfalls an<br />

Ansprüche haben muß.<br />

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP<br />

und dem Bündnis 90/GRÜNE)<br />

Der Ansatz, die MdE, die Minderung der Erwerbsfähigkeit,<br />

zu erhöhen, steht in Widerspruch zur Praxis<br />

der Berufsgenossenschaft Chemie bei der Gewährung<br />

der Unfallrente aus dem Unfall von 1953 für den Petenten<br />

und für weitere 78 Personen, die sich für mich<br />

als Skandal darstellt. Für mich ist die Verhaltensweise<br />

der Berufsgenossenschaft Chemie an vier Punkten zu<br />

kritisieren.<br />

Ich werfe ein Verschleiern der tatsächlich vom Unfall<br />

betroffenen Personengruppe durch Einbeziehung<br />

weiterer Dioxinfälle bei der BASF vor, wodurch Kausalitätsaussagen<br />

erschwert wurden.<br />

Ich werfe das Heranziehen von Gutachtern vor, die<br />

inzwischen in der wissenschaftlichen Diskussion<br />

höchst umstritten sind. Auf diese Weise wurden Gutachten<br />

erstellt, die es dem Versicherten teilweise unmöglich<br />

gemacht haben, schon frühzeitig zu seinem<br />

Unfallrentenanspruch zu kommen.<br />

- Ich werfe das Nichtheranziehen einer Mortalitäts<br />

und Morbiditätsstudie der Unfallkohorten des Unfalls<br />

von 1953 im Auftrag der BASF vor. Kausalitätsvermutungen<br />

im Hinblick auf den Fall des Petenten, werden<br />

dadurch unmöglich gemacht.<br />

Der Absprache, die sich aus einem Gespräch mit<br />

dem Ausschußvorsitzenden und den Berichterstattern<br />

des Ausschusses ergab, jede Chance zu nutzen, um in<br />

einem sozialgerichtlichen Verfahren einen Vergleich<br />

mit dem Petenten über die Höhe der MdE zu erreichen,<br />

und die eine Brücke darstellte, ist der Geschäftsführer<br />

der Berufsgenossenschaft Chemie nicht nachgekommen,<br />

sondern im Gegenteil: Er hat dann, als<br />

von uns angeregte Gegengutachten zur Feststellung<br />

einer höheren Minderung der Erwerbstätigkeit führten,<br />

seinerseits Gegengutachten in Auftrag gegeben,<br />

und zwar unter Einbeziehung einer Dioxin-Studie der<br />

BG Chemie, die wissenschaftlich nicht unstrittig ist,<br />

ebenfalls keine klare Kohorte darstellt.<br />

Ich werfe dem Geschäftsführer vor, daß er die vom<br />

Petitionsausschuß eingeladenen Experten nachträglich<br />

in einer Form unter Druck gesetzt hat, die eigentlich<br />

eine Mißachtung des Auftrags des Petitionsausschusses<br />

darstellt, die wir uns nicht gefallen lassen<br />

können.<br />

(Beifall im ganzen Hause)<br />

Das Ganze führt zu einer verschleppenden Behandlung.<br />

Wenn wir uns vor Augen führen, daß die Krankheitsauswirkungen<br />

von Dioxin tödliche Folgen haben<br />

können, kann eine schleppende Behandlung zur Erledigung<br />

der Fälle. durch Tod der Anspruchsteller führen.<br />

Das ist eine Verfahrenspraxis, die wir einfach<br />

nicht akzeptieren können.<br />

Das Fazit: § 44 Abs. 4 ist überprüfungsbedürftig.<br />

Deshalb haben wir Regierung und Fraktionen des

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!