33. Sitzung - Deutscher Bundestag
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2570 <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten<br />
Den Rest der Intelligenzschicht ereilte 1945 bis 1949<br />
bei neuen Deportationswellen der Sowjetunion das<br />
gleiche Schicksal. Erst mühsam haben sich die Völker<br />
davon erholt.<br />
Die Okkupation und Einverleibung in die Sowjetunion<br />
wurde vom Westen niemals anerkannt, und so<br />
wollen sie jetzt ihre Freiheit, und sie wollen sie gleich.<br />
Wir von der Bundesrepublik Deutschland müssen sie<br />
unterstützen. Wir, die wir die Freiheit unserer Mitbürger<br />
in den fünf neuen Ländern erst seit einem Jahr<br />
wieder zurückerhalten haben, sollten Verständnis für<br />
die Ungeduld haben.<br />
Dennoch versuche ich, Strömungen entgegenzuwirken,<br />
wenn der Präsident der Sowjetunion, Gorbatschow,<br />
in unqualifizierter Weise angegriffen wird.<br />
Ich sage allen meinen Gesprächspartnern — und dies<br />
waren insbesondere auch die führenden litauischen<br />
Politiker — : Ohne Gorbatschow und seine Politik in<br />
den letzten Jahren gäbe es kein Thema Baltikum,<br />
würden wir als Parlament nicht über die Freiheit dieser<br />
Menschen diskutieren und würden wir heute nicht<br />
über ein Informationsbüro als Vorläufer von drei Botschaften<br />
entscheiden.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie<br />
bei Abgeordneten der SPD)<br />
Ich bin der Meinung, daß die Freiheit der drei Völker<br />
nur mit Gorbatschow — und sei es, damit er sein Gesicht<br />
nicht verliert, durch eine finnische Lösung — zu<br />
erreichen ist und nicht gegen ihn und natürlich jetzt<br />
auch mit Jelzin. Es darf keinen blutigen Januar 1991<br />
mehr geben, und die Übergriffe auf baltische Einrichtungen,<br />
wie sie noch in den letzten Wochen durch<br />
sowjetische Behörden stattfanden, müssen aufhören.<br />
Gorbatschow könnte seine historische Leistung für<br />
Frieden und Freiheit mit der Freiheit der drei baltischen<br />
Staaten krönen, und wir tragen heute mit unseren<br />
Beschlüssen ein Stückchen dazu bei.<br />
Es ist noch ein steiniger Weg, aber der <strong>Bundestag</strong><br />
hat die Verantwortung der Deutschen erkannt. Wir<br />
bitten und fordern den Kanzler und den Außenminister<br />
auf, wann immer sie Möglichkeiten haben, mit<br />
sowjetischen Gesprächspartnern diese Frage zur<br />
Sprache zu bringen, auch im Zusammenhang mit<br />
wirtschaftlichen Zukunftsplänen und dem ständigen<br />
Hinweis, daß die völkerrechtliche Situation dieser drei<br />
Länder anders ist als die der übrigen sowjetischen<br />
Republiken, weil die Einverleibung 1940 völkerrechtlich<br />
unwirksam ist.<br />
Die drei baltischen Staaten könnten als wirtschaftlicher<br />
Katalysator zwischen der Europäischen Gemeinschaft<br />
und der künftigen Sowjetunion dienen - und damit<br />
dem Endziel, dem vereinten Haus Europa, nutzen.<br />
Mit der hoffentlich baldigen Eröffnung der Informationsbüros<br />
soll auf diesem Weg ein Signal gesetzt werden.<br />
Danke schön.<br />
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie<br />
bei Abgeordneten der SPD)<br />
Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Und nun<br />
hat das Wort der Staatsminister Dr. Helmut Schäfer.<br />
Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen<br />
Amt: Vielen Dank. „Doktor" ist etwas zu hoch gegriffen.<br />
Ich warte immer noch auf den Ehrendoktor. Der<br />
ist mir bisher noch nicht zuteil geworden.<br />
(Friedrich Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]:<br />
Das könnte Ihnen so passen, ohne jede An<br />
strengung!)<br />
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf,<br />
weil die Bundesregierung wiederholt angesprochen<br />
worden ist, noch einmal auf das zurückkommen, was<br />
ich hier am 28. Februar schon einmal gesagt habe: Der<br />
Einrichtung baltischer Informationsbüros in der Bundesrepublik<br />
steht nichts im Wege, wenn sie nach den<br />
Regeln des Privatrechtes, des Vereinsrechtes sowie<br />
des Ausländerrechtes organisiert wird, wie es z. B.<br />
auch in Polen der Fall sein wird. Das heißt allerdings<br />
auch, daß ein diplomatischer Status, fiskalische Privilegien<br />
sowie Betrauung mit quasikonsularischen Aufgaben<br />
ausgeschlossen sind. Ich muß dies hier noch<br />
einmal wiederholen.<br />
Erlauben Sie mir, dies zu erläutern: Die Bundesregierung<br />
hat, wie Sie wissen, die Annexion der baltischen<br />
Staaten niemals anerkannt. Sie hatte bei der<br />
Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion<br />
einen Vorbehalt hinsichtlich des beiderseitigen<br />
territorialen Besitzstandes ausgesprochen und<br />
ihn seither stets berücksichtigt. Dieser Vorbehalt gilt<br />
weiter. Es ist aber unbestreitbar und unbestritten, daß<br />
seit den Republikwahlen in allen drei Staaten eine<br />
qualitativ neue Lage eingetreten ist. Wir haben es<br />
— und da ist doch gar kein Zweifel — heute dort mit<br />
demokratisch legitimierten Regierungen und Parlamenten<br />
zu tun, die danach streben, das Selbstbestimmungsrecht<br />
der baltischen Völker zu verwirklichen.<br />
Es ist Ihnen bekannt — und ich verstehe insofern<br />
nicht die Kritik, die einige hier geäußert haben —, daß<br />
die Bundesregierung gemeinsam mit ihren Partnern<br />
in der EG nachdrücklich auf Verhandlungen zwischen<br />
der sowjetischen Zentralregierung und den gewählten<br />
Vertretern der baltischen Länder drängt, die<br />
auf der Grundlage der Ergebnisse der baltischen Referenda<br />
die legitimen Erwartungen der baltischen<br />
Völker erfüllen müssen.<br />
Wir haben mit Genugtuung festgestellt — und das<br />
muß auch einmal deutlich gemacht werden — , daß<br />
Ende März ein Dialog in Gang gekommen ist.<br />
Der Bundeskanzler und der französische Staatspräsident<br />
haben im vergangenen Jahr ausdrücklich in<br />
ihren Schreiben nach beiden Seiten hin gedrängt, daß<br />
man zu einer Verhandlung kommt und daß der Weg<br />
des Dialogs eingeschlagen werden muß, auch im Hinblick<br />
auf die spätere Lebensfähigkeit der baltischen<br />
Staaten, d. h. auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten,<br />
aber natürlich auch im Hinblick auf die zahlreichen<br />
politischen, juristischen und wirtschaftlichen Bindungen,<br />
die es natürlich mit der Sowjetunion noch gibt.<br />
Dieser Weg ist schwierig, die Begleitumstände, die<br />
angesprochen worden sind, sind gelegentlich belastend.<br />
Ich darf an die Grenzpostenzwischenfälle erinnern;<br />
all das ist unschön, aber es bleibt festzuhalten:<br />
Die Verhandlungen sind auf dem Wege, und gerade<br />
vor wenigen Tagen, am 6./7. Juni 1991, sind zuletzt<br />
lettische und sowjetische Verhandlungspartner zusammengetroffen.<br />
Ich weiß auch aus Äußerungen des