33. Sitzung - Deutscher Bundestag
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2690* <strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> — 12. Wahlperiode — <strong>33.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Bonn, Mittwoch, den 19. Juni 1991<br />
von den Experten und Expertinnen der Nichtregierungsorganisationen,<br />
die sich in Genf erstmals an den<br />
Verhandlungen beteiligen können.<br />
Wir müssen erkennen, daß die Minderheitendebatte<br />
im europäischen Kontext trotz jahrelanger Bemühungen<br />
erst ganz am Anfang steht. Wir sehen aber<br />
auch, daß sie durch die hohe Aktualität, die sie im<br />
Rahmen des KSZE-Prozesses gewonnen hat, einen<br />
positiven, nach vorn weisenden Schub bekommen<br />
hat.<br />
Gleichwohl ist zu erwarten, daß Widerstände gegen<br />
eine weitergehende Festschreibung des Minderheitenschutzes<br />
nicht nur aus den Ländern Osteuropas<br />
kommen werden, die nach dem Ende der Ordnung<br />
von Jalta durch eine Phase ungeklärter Nationalitätenkonflikte<br />
gehen. Auch manche unserer westeuropäischen<br />
Nachbarländer haben deutlich gemacht, daß<br />
ihnen aus sehr verschiedenen Gründen bereits die in<br />
Kopenhagen vereinbarten Prinzipien zum Minderheitenschutz<br />
viel zu weit gehen.<br />
Gerade deshalb halten wir den KSZE-Prozeß, der<br />
sich bei der Durchsetzung der Menschenrechte in<br />
ganz Europa hervorragend bewährt hat, für die zur<br />
Zeit wichtigste internationale Ebene, um mit Geduld<br />
und gegenseitigem Verständnis die Bereitschaft zum<br />
gleichberechtigten Zusammenleben innerhalb der<br />
Gesellschaften Europas weiterzuentwickeln, ohne die<br />
jedes verbriefte Minderheitenstatut, sei es noch so<br />
umfassend, bloße Makulatur bliebe.<br />
Anlage 3<br />
Zu Protokoll gegebene Rede<br />
zu den Zusatztagesordnungspunkten 3, 4 und 5<br />
— Anträge betr. Krise in Jugoslawien und zur Lage in<br />
Kosovo —<br />
Gerd Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Daß die staatli<br />
che Zukunft Jugoslawiens vom Zusammenbruch der<br />
kommunistischen Herrschaft und damit des Erbes von<br />
Tito unberührt bleiben würde, glaubte spätestens<br />
nach den Entwicklungen im vorigen Jahr kaum noch<br />
einer der politischen Beobachter der dortigen Situation.<br />
Zu offensichtlich war der über 40 Jahre mühsam<br />
unterdrückte Konflikt, zu wenig überzeugend die<br />
Klammer kommunistischer Ideologie. Überraschend<br />
allerdings war die enorme Sprengkraft, die ihm innewohnt,<br />
und seine sich nur allmählich offenbarende<br />
Komplexität. Schließlich handelt es sich um eine Mischung<br />
aus historischen, ökonomischen, - kulturellen,<br />
nationalen und sozialen Problemen, die einander<br />
überlagern und beeinflussen.<br />
Lange Zeit dominierte in der Sicht westeuropäischer<br />
Politik auf die Entwicklung in Jugoslawien die<br />
Vorstellung, man könne die Entscheidung über dessen<br />
unveränderten staatlichen Zusammenhalt durch<br />
Appelle an die Aufrechterhaltung eines einzigen verbindlichen<br />
Partners in Gestalt der jugoslawischen<br />
Bundesregierung, verbunden mit der Drohung ökonomischer<br />
Sanktionen, beeinflussen. Dem lag nicht nur<br />
die Unterschätzung der Eigendynamik zugrunde, die<br />
nach der Entfernung des Deckels kommunistischer<br />
Herrschaft vom brodelnden Topf des jugoslawischen<br />
Völkergemischs einsetzte. Falsch war auch die Vorstellung,<br />
den westeuropäischen Standard grenzüberschreitender<br />
Integration von Nationen auf die Situation<br />
in Jugoslawien anwenden zu können. Dieser<br />
Standard ist im übrigen auch in dem doch so demokratischen<br />
und pluralistischen Westeuropa keineswegs<br />
erreicht, wie Beispiele von Nordirland über Belgien<br />
bis Korsika zeigen.<br />
Inzwischen hat sich längst erwiesen, daß die Realität<br />
diese Vorstellungen überholt hat. Um so begrüßenswerter<br />
ist es, daß — nicht zuletzt infolge eigener<br />
Anschauung einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses<br />
— sich auch in der Mehrheit der Parteien im<br />
<strong>Bundestag</strong> eine realitätsgerechtere Auffassung<br />
durchgesetzt hat. Ausdruck dieser veränderten Haltung<br />
zur Entwicklung in Jugoslawien ist der heute<br />
vorliegende Antrag. Hier wird konstatiert, daß „die<br />
bisherige Grundlage des Zusammenlebens nicht<br />
mehr die ausreichende Zustimmung aller Völker Jugoslawiens<br />
findet und daß es deshalb erforderlich ist,<br />
eine neue Grundlage zu vereinbaren". Betont wird<br />
dabei die Notwendigkeit rechtsstaatlicher und demokratischer<br />
Grundlagen für die Möglichkeit der Ausübung<br />
von Selbstbestimmung.<br />
Eine auf solcher Grundlage getroffene Entscheidung<br />
aller einzelnen Völker in Jugoslawien ist auch<br />
dann zu akzeptieren, wenn das Ergebnis die Aufgabe<br />
der bisherigen Föderation zugunsten einer Konföderation<br />
oder sogar noch weitergehender Souveränität<br />
ist. Daß ein solcher Umwandlungsprozeß nicht gewaltsam,<br />
sondern in einem geordneten Prozeß ablaufen<br />
sollte, der auch den Interessen der betroffenen<br />
Nationen in Jugoslawien dient, versteht sich von<br />
selbst.<br />
Wenn die Entscheidung über ihre staatliche Zukunft<br />
eine Sache der Völker in Jugoslawien ist, in die<br />
einzumischen sich verbietet, so gebieten die Behinderung<br />
des Selbstbestimmungsrechts und die Verweigerung<br />
grundlegender Menschenrechte, sich deutlich<br />
dazu zu äußern. „Die Forderung nach Achtung der<br />
Rechte nationaler Minderheiten als Teil des international<br />
anerkannten Menschenrechtsschutzes stellt<br />
keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten<br />
der Staaten dar. " So heißt es in dem heute vom <strong>Bundestag</strong><br />
beschlossenen Antrag zum KSZE-Experten<br />
treffen über nationale Minderheiten. Die Rede ist jetzt<br />
von der massiven Verletzung der Menschenrechte<br />
durch die serbische Regierung im Kosovo. Dabei ist<br />
zunächst ohne Belang, ob die Albaner eine nationale<br />
Minderheit in Serbien oder das Volk des Kosovo sind.<br />
Worum es geht und gehen muß, ist die klare Verurteilung<br />
der Serbischen Politik gegenüber der albanischen<br />
Bevölkerung. Dies betrifft die Aussetzung der<br />
Autonomie des Kosovo, die Auflösung des dortigen<br />
Parlaments, die sich steigernde Kampagne in Serbien<br />
gegen den Anspruch der Albaner auf Respektierung,<br />
vor allem und zunächst aber die kontinuierliche Verletzung<br />
elementarer Menschenrechte.<br />
Es mag sein, daß nicht jeder Bericht über jeden Vorfall<br />
im Kosovo einer objektiven Überprüfung standhielte.<br />
Wie sollte es anders sein in einem Land, in dem