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Autor: Tilmann P - Landesmedienzentrum Baden-Württemberg

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Auf einmal schien die Verbindung wieder hergestellt vom Kopernikanischen, Keplerschen,<br />

Galileischen Weltsystem zur Sphärenharmonie der Pythagoräer. Das polyphone<br />

Musikwerk war ein verkleinertes Abbild der göttlichen Weltordnung. Die pietistischen<br />

Kunsthistoriker konnten sich nicht genug tun, schwärmerisch die Ästhetik (so nannte<br />

Baumgarten als erster die Kunsttheorie) in Parallele zur Metaphysik zu setzen: die formale<br />

Geschlossenheit, die Vollkommenheit des Zusammenklangs, war das tertium<br />

comparationis. Der Theologie aber entsprach die sogenannte »Genielehre«: der Künstler,<br />

der fromme Nachahmer der Welteinheit, war das irdische Ebenbild des Schöpfers.<br />

Man muß sich das, wenigstens so weit es hier möglich ist, vereinfacht und in Kürze<br />

klarmachen, um die Bedeutung dessen zu ermessen, was sich in der abendländischen<br />

Musik um 1750 vollzieht. Es begann freilich um 1750 nur, zu ihrem Ende gekommen ist<br />

die Entwicklung erst im permanenten Programm des Rundfunks.<br />

Wie aber kam es, daß sich um 1750 plötzlich Funktion und Form der Musik auflösten, daß<br />

die Musikausübung aus der Kirche in den Konzertsaal abwanderte, daß an die Stelle der<br />

Fuge die Sonate, an die Stelle der Polyphonie die Modulationstechnik trat? Warum warf<br />

von einer Generation zur andern, vom Vater Bach zu seinen Söhnen, die Musik ihr<br />

zyklisch-theozentrisches, liturgisches Zeitgefühl ab, wollte nicht mehr Ausdruck der<br />

Schöpfung, sondern individuellen Empfindens, Selbstdarstellung ihres jeweiligen<br />

menschlichen Schöpfers sein?<br />

Die Frage nach dem Warum läßt sich in der Geschichte kaum je befriedigend<br />

beantworten. Nachdem die eschatologische Transzendenz, die gerichtete Zeit, um 1500<br />

den Menschen fremd geworden war, zeigte sich zweieinhalb Jahrhunderte später, daß<br />

auch die Rückkehr zur zyklischen Transzendenz ihre Möglichkeiten erschöpft hatte. Der<br />

Mensch, auf die Freiheit des Christenmenschen verwiesen, hatte sich antikischen<br />

Maßbegriffen ohnehin nur äußerlich anpassen können: in barocker Repräsentation und in<br />

liturgischem Handeln.<br />

Indem der Zeitablauf seine Sinnhaftigkeit verlor, wurden alle überlieferten Formen erst<br />

einmal unwirksam. Nur die psychologische Einheit der Wahrnehmungen und<br />

Empfindungen in der Person, im Ich, blieb noch als Band: »Persönlichkeit« als<br />

elementare, als harmonisierende, als empfindsame und zuletzt als registrierende Kraft –<br />

in Sturm und Drang, Klassik, Romantik und Impressionismus. Am Ende vermochte auch<br />

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